Unter Überfluss leiden Reiche und Dumme…
… an Mangel sterben die Anderen. Die Dosis macht das Gift!

Ich bin seit Jahren ein Öko, lange vor Greta. Vegetarier, Flohmarktgänger, Fahrradfahrer, Städter. Einer von der gefährlichen Sorte. Nachts träume ich von einer Welt, in der Fleisch und Plastik verboten sind und Verkehrsinseln nur noch genutzt werden, um ehemalige SUV-Fahrer zu kreuzigen. Oder doch nicht?
Umweltbewusst leben, das ist ungefähr wie Fahrradfahren ohne Lenker: Man weiß schlichtweg nicht, wo man Hand anlegen soll ohne unbequem zu sitzen. Richtig? Naja, viele Lösungen sind simpel und eigentlich einleuchtend: Was kann jede/r einzelne tun?
Manchmal verschwindet diese Einfachheit leider bei genauerer Betrachtung. Die Plastikverpackung lässt sich manchmal gar ökologisch begründen, wie wir in unserem Interview in der Zentrale von Edeka Südwest erfahren konnten. Stromsparen durch Neuanschaffung? Bio-Gurken in Plastik? Dämmen mit aufwändig hergestellten Kunststoffen? Hülsenfrüchte aus Übersee als Proteinquelle statt der Kuh auf der Weide nebenan? Baumstoffbeutel statt Plastiktüte? E-Book oder Audruck? CO2 oder Wasser, Energie oder Plastik?
Unser Foto zeigt ein Dilemma: Die veganen Würste sind aufwändig in Kunststoff verpackt. Die Schweinewurst gibt es lose beim Metzger des Vertrauens. Was ist jetzt besser? Unter welchen Gesichtspunkten?
Die Umwelt ist ganzheitlich. Ein komplexes System. Jede Veränderung an einer Schraube ändert die Zugkräfte auch an ganz anderer Stelle. Das Gleiche trifft auf unsere Wirtschaft zu. Das kann ein Problem sein, aber eben auch eine Chance. Eine Chance für unterschiedliche Ansätze und individuelle Lösungen. Weder Luxus, noch Konsum oder Freiheit sind ernsthaft gefährdet. Wir werden nicht alle zu E-Auto fahrenden, Jute-Beutel tragenden Veganern werden müssen! Versprochen!
Alle vegan oder vegetarisch? Unterschiedliche Tiere haben unterschiedliche Ökobilanzen, besonders Rind und Schwein sind problematisch. Das gilt jedoch auch für Milchprodukte! Vegetarier können bei hohem Kosum ihre Bilanzen gar verschlechtern. Es gibt jedoch auch andere Möglichkeiten bei der Ernährung Verbesserungen zu erzielen:
- Wir haben viele überpopulierte Tiere, diese zu verzehren, wäre Umweltschutz (bestes Beispiel: Wildschweine)!
- Auch gibt es Regionen der Erde, in denen tierische Ernährung sinnvoll ist. Große Herden in Steppen sind beispielsweise wichtig, um Wüstenbildung zu verhindern, da diese ursprüngliche Tierwanderungen imitieren. Die Kulturlandschaft in den Alpen beispielsweise braucht Kühe, auch um die einzigartige Flora und Fauna zu bewahren. Das sind jedoch Ausnahmen! Es gibt Flächen, die als Ackerland nicht geeignet sind, hier kann Weidehaltung sinnvoll sein.
- Wer unkompliziert beginnen will, kann klüger planen und so weniger verschwenden. Oder gleich bei Foodsharing aktiv oder passiv werden. Siehe Sarahs Artikel, was jede/r tun kann.
- In Zukunft könnten Insekten und Fleisch aus Stammzellen ein guter Ersatz sein. Dazu soll natürlich niemand gezwungen werden. Den ersten Insektenburger gibt es bereits bei Rewe. Da er noch neu ist, bleibt er verhältnismäßig teuer. Prinzipiell sind Insektenburger in der Massenproduktion sehr kostengünstig.
- Das echte Rind kann für besondere Anlässe vorbehalten bleiben. (Manche erinnern sich vielleicht noch an den Sonntagsbraten. Ich denke, wir sind hier massiv aus dem Gleichgewicht geraten).
- Wer’s wild mag, kann jagen! 😉
- Billigfleisch aus dreistöckigen Schweinemastanstalten sollten keine Selbstverständlichkeit bleiben. Unser Kosum ist schlichtweg übertrieben, die Preise sind zu niedrig. Auch unsere Gesundheit würde von weniger Fleisch und Milch profitieren. Keine tierischen Produkte zu verzehren, ist aber auch nicht automatisch gesünder. Manch ein Befürworter des Veganismus übertreibt hier.
- Bio ist oft günstiger als die Markenware. Wer selbst kocht, spart gegenüber Fertigprodukten. Ökologischer Konsum steht generell nicht zwangsweise im Kontrast zum Sparen. Second-Hand ist das beste Beispiel.
Welche Art der Mobilität?
E-Autos? Meine Meinung: Bitte nicht! Erst ab über 100.000 km gibt es hier positive Bilanzen (Darüber streiten die Experten, Anm. der Redaktion). Dazu ist der Umbau der Infrastruktur enorm aufwändig, unökologisch und langwierig. Es gibt auch andere Fortbewegungsmittel und Lösungen, die nicht auf sich warten lassen müssen.
Ich sehe auf Autobahnen zu Stoßzeiten tausende wütende Pendler, auch direkt neben gut frequentierten Zugstrecken, welche aus eigener Erfahrung weder teurer noch langsamer sind. Außerdem sitzt ein Großteil alleine in unnötig großen Autos.
Wie gut man hier substituieren kann, hängt von der Lage ab. In einem Dorf in den Bergen ist das Fahrrad zum Einkaufen einfach unpraktisch. Man kann sich jedoch auch beliefern lassen (teilweise ökologischer). Man könnte Fahrgemeinschaften zur Arbeit bilden. Car-Sharing und Blablacar nutzen. Ein (Achtung!) kleineres Auto fahren. Ein Neukauf eines Wagens verursacht jedoch enorme Emissionen, es muss abgewogen werden. Alternativen für den Arbeitsweg können bereits einen großen Teil der Emissionen reduzieren.
Wie viele Menschen kennen Sie, die für einen Kleinsteinkauf in der Stadt 2 Kilometer mit dem Auto fahren? Hier kann man ansetzen. Nicht jeder kann einfach verzichten, jedoch sehr, sehr viele. Dann sind sogar Roadtrips oder Motorradtouren wieder drin. Es geht um die großen Blöcke, nicht das Autofahren an sich.
Alles ohne Plastik?
Eine Papiertüte hat nicht unbedingt eine bessere Ökobilanz als eine Papiertüte. Egal, was man benutzt, solange man nicht jedes Mal ein neues Exemplar verwendet, hat man schon etwas verbessert.
Plastik ist in vielen Bereichen wichtig. Zum Erhalt der Frische, in der Medizin hält es steril. Seine Vielfätigkeit ermöglicht wiederum Ideen um andere Ressourcen zu sparen. Plastik aus Pflanzen bräuchte Anbauflächen, zum Beispiel in Regenwäldern. Am Ende ginge es der Welt vielleicht sogar schlechter. Die meisten Verpackungen sind jedoch übertrieben und überflüssig.
Mein Lieblingsbeispiel ist Ritter-Sport. Über die Jahre gab es immer kleinere Quadrate. Mittlerweile gibt es die einzelnen Bruchstücke einzeln verpackt, zu Unterverpackungen zusammengefasst und nocheinmal in Plastik ummantelt. Eine Schande! Wir verspielen die Möglichkeit, Plastik in Zukunft für wichtige Anwendungen zur Verfügung zu haben, nur um es jetzt um wirklich jedes Partikel zu wickeln.
Auch Plastik-Tüten und Verpackungen lassen sich übrigens wiederverwenden. Große Jogurtbecher mit Deckel sind zum Beispiel ein super Ersatz für Gläser oder Dosen in Schränken. Diese Mehrwegprodukte hätten sonst extra produziert werden müssen!
Wer Kaffee im Mehrwegbecher kauft, verbessert zwar etwas, aber lächerlich wenig. Schaut euch doch einfach mal die Ökobilanz von Kaffee an. Der Wasserverbrauch ist bizarr hoch. Solche Irrtümer finden sich überall. Wenn Sie gerade online sind, verbraucht das immense Mengen Strom.
Fazit
Vielleicht dachten Sie an einigen Stellen: Das kann ich einfach nicht umsetzen. Es fehlen Infrastruktur, Angebote in Supermärkten, noch nicht entwickelte Technik. Hier gibt es zwei Hebel. Zum einen generiert Nachfrage Angebot. Der Markt wird sich anpasssen. Die Preise fallen rapide nach einer Etablierung. Zum anderen aber bedarf es auch politischer Veränderungen. Die Politik lässt sich nur sehr viel langsamer verändern.
Fleisch, Autos, Plastik und Luxus können Teil unserer Gesellschaft bleiben. Jeder kann hier seine Ausnahmen selbst festlegen. Wer jedoch nur Ausnahmen macht, der macht eben keine Ausnahmen mehr. Was uns als einziges wirklich nicht möglich ist: ein weiter wie bisher. Vieleicht wollen Sie Motorrad fahren und Steak essen, setzen sich aber extrem für den Insektenschutz in Ihrem Dorf ein, produzieren eigenen Strom und haben einen kleinen Gemüsegarten? Oder Sie leben ein ideales Öko-Leben, wollen aber mit dem Flieger nach Südostasien?
Zugestanden: Verzicht ist teilweise unumgänglich, wollen wir die Welt verändern. Doch es geht eben nicht darum, auf irgendetwas vollständig zu verzichten. Es geht um große und auch kleinere Justierungen an ganz unterschiedlichen Stellen. Die Dosis macht das Gift. Sogar Wasser ist in extremer Menge gefährlich, gar tödlich. Man muss sich jedoch schon exzessiv zu Tode konsumieren. Dass das Menschen bei Wettbewerben tatsächlich geschafft haben, überrascht mich kaum.
Unter Überfluss leiden eben die Reichen und Dummen. An Mangel, daran sterben dann die Anderen.