Zwei Mädchen. Zwei Schicksale
Wenn sich Lebenswege zufällig kreuzen
2. November 2000. In der Weltgeschichte ist an diesem Tag nicht viel passiert. Auf der Internationalen Raumstation trifft die erste Langzeitbesatzung ein. In London gibt es einen neuen Schachweltmeister. Das Wetter war in Deutschland relativ mild bei zirka 10 Grad. Und in Afghanistan? Das ist nicht wirklich wichtig. Und doch verändert sich das Leben an dem 2. November für zwei Familien: In Deutschland wird an diesem Tag Sandra Overlack geboren. In der Nähe von Kabul die kleine Muzhgan Hossinzadeh. Zwei Mädchen, die nicht viel verbindet, aber deren Lebenswege sich 16 Jahre später kreuzen. In Rastatt, wo Sandra mit ihrer Familie in so genannten geordneten Verhältnissen aufwächst. Bei Muzhgan ist nichts in ruhiger Ordnung. Sie ist auf der Flucht vor den Taliban in Rastatt gestrandet.
Die Zwei treffen sich an Sandras Schule. Muzhgan lernt in einer Vorbereitungsklasse mühsam Deutsch. Beide kommen holprig ins Gespräch und stellen fest, dass sie am gleichen Tag geboren wurden. 2.11.2000 steht bei beiden als Geburtsdatum im Pass, im deutschen beziehungsweise im afghanischen. Bereits bei diesen Dokumenten wird der Unterschied deutlich: Muzhgan erzählt, dass sie eigentlich ein Jahr älter sei, die Behörden hätten beim Eintragen geschlampt. Wäre das auch in Deutschland denkbar? Grübeln über Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Und schon sind beide mitten im Nachdenken: Wie verschieden sind ihre Lebenswege, ihre Entwicklungen, ihre Chancen …
Auch Florie Bicaj trifft Muzhgan. Allerdings beim Sprachkurs. Die Geschichte der jungen Afghanin berührt die jungen Frauen. Auch weil Muzhgan Anfang des Jahres in Rastatt Verlobung feiert. So jung, staunen Florie und Sandra, für die Zwei wäre das undenkbar. Andere Länder, andere Sitten. Ob Muzhgan deshalb unglücklich ist? Sie macht keineswegs den Eindruck, den Tag der Verlobung feiert sie ausgelassen und lädt uns dazu ein. Sandra nimmt teil und lernt gleich mal die Verwirrung von Sprache und Mentalität kennen. Denn zur angegebenen Uhrzeit laufen die Vorbereitungen noch auf Hochtouren: Schminken, Kochen, Dekorieren. Und Sandra grübelt: Wäre das auch was für sie? Und wie kann man sich trotz Sprach-Wirrwarr verständigen? Der Austausch geht weiter. Von jetzt an lässt Sandra der Gedanke nicht mehr los: “Was wäre, wenn ich in Afghanistan zur Welt gekommen wäre?” Florie schreibt die Geschichte von Muzhgan und kommt zum Schluss: “Nichts hat so großen Einfluss auf die Entwicklung eines Kindes wie der Geburtsort. Die Unterschiede auf der Welt könnten heutzutage nicht größer sein.”
Lesen Sie hier die Geschichte von Muzhgan: https://ravolution.de/wenn-ich-in-kabul-geboren-waere/
Und zum Sprachkurs: https://www.ravolution.de/mit-herz-hirn-un…uer-fluechtlinge/
Auf dem Foto: links Muzhgan, deren Eltern nicht möchten, dass ihre Tochter erkennbar ist, rechts Florie.