Wo bleiben die Antworten?
Kann ein TV-Duell mit zwei Kanzlerkandidaten junge Menschen von Politik überzeugen?

Straßenfeger TV-Duell Kanzlerin gegen Herausforderer. Große Erwartungen an den direkten Vergleich zwischen „Mutti“ und dem „Kissinger aus Würselen“. So die Spitznamen von Angela Merkel und Martin Schulz. Auf vier Kanälen läuft das Fernsehereignis gleichzeitig: auf den Öffentlich-Rechtlichen ARD und ZDF sowie auf den Privaten RTL und Sat1. Was versprechen sich Politiker, Parteien und TV-Sender? Die Erkenntnis, wen die Zuschauer wählen werden? Schließlich sagen rund 60 % der Wahlberechtigten, dass sie vier Wochen vor der Wahl noch nicht wissen, welcher Kandidat und welche Partei ihr Favorit ist.
So ist die Spannung groß im Vorfeld des Schlagabtausches zwischen Angela Merkel und Martin Schulz. Und was bekamen sie serviert? Maximal ein kurzes Dazwischenreden. Keine wütenden Blicke. Keine gegensätzlichen Ansichten. Keine Extrem-Pole.
Ich finde: Zu ähnlich sind sich die beiden. Ungewöhnlich für die Spitzenkandidaten der beiden großen Parteien CDU und SPD. Mir Aber: fehlt die Energie, der Funke, der zu uns Bürgern überspringt und uns aktiviert, am 24. September die „richtige“ Wahl zu treffen. Was ist die richtige Wahl?
Werfen wir einen Blick auf die Themen und Inhalte im TV-Duell.
Flüchtlingspolitik
Kaum ein Thema wurde so häufig in den Medien erwähnt, wie die Flüchtlingskrise, die Integration von Flüchtlingen, auch genannt “die Asylkrise in Deutschland“. Bereits am Anfang des Duells passiert dem Sat.1-Moderator Claus Strunz der erste Fauxpas. Claus Strunz‘ Frage mit einem (verkürzten) Zitat von Schulz: „Flüchtlinge sind wertvoller als Gold. Wie kommen Sie zu dieser Fehleinschätzung?“. Schulz Blick spricht Bände, denn er wurde von Strunz nicht vollständig zitiert. Tatsächlich sagte Martin Schulz: „Was die Flüchtlinge zu uns bringen, ist wertvoller als Gold. Es ist der unbeirrbare Glaube an den Traum von Europa. Ein Traum, der uns irgendwann verloren gegangen ist.“
Arbeitslosigkeit
Stolz spricht Angela Merkel, wie sich die Zahl der Arbeitslosen seit ihrem ersten Amtstatritt 2005 fast halbiert habe. Von annähernd 4,5 Millionen Arbeitslosen im November 2005 bis aktuelle zu 2,5 Millionen Arbeitslosen, davon eine Million Langzeitarbeitsloser. Was fehlt, ist ihr Blick in die Zukunft. Auf Industrie 4.0. Was bedeutet das für Arbeitsplätze? Gerade für Frauen? Weil der Frauenanteil in den Berufen der MINT-Fächer sehr gering ist. Genau das ist es doch, was uns interessiert. Vor allem mich und meine Freunde. Wie sicher ist es, dass wir nach unserem Studium oder unserer Ausbildung einen vernünftigen Arbeitsplatz finden, mit dem wir uns und unsere Familie ernähren können? Keine Antwort ist eine sehr schlechte Antwort.
Rente
Martin Schulz wirft Angela Merkels Partei, der CDU, vor, die Rente bis 70 durchsetzen zu wollen. Das hätte der Wirtschaftsrat der CDU vergangenes Jahr beschlossen. Schulz hat in dem Sinne Unrecht, dass die Rente ab 70 nicht im Regierungsprogramm der CDU steht. Allerdings müssen sich die beiden großen Parteien trotzdem die Frage stellen, ob es in naher Zukunft möglich sein könnte, dass wir, nicht Merkel, nicht Schulz, nicht Gabriel, nicht Steinmeier, sonder wir, die junge Bevölkerung Deutschlands, bis mindestens 70 arbeiten müssen, damit wir in den letzten Jahren unseres Lebens Rente beziehen können. Und wenn wir einen Bezug zur Automatisierung des Arbeitsmarktes herstellen, was ist dann mit denen, die ihre Arbeit verlieren werden oder erst gar keine Anstellung bekommen? Wie wollen wir den Betroffenen ein lebenswertes Altern in Deutschland sichern? All diese Fragen sind weder gestellt worden noch kamen sie ansatzweise an die Oberfläche der Diskussion. Aber das will unsere Generation wissen. So gewinnt man keine jungen und auch keine neuen Wähler.
Bildung
Was ist mit der Bildung in Deutschland?! Zumindest habe ich mir diese Frage am Ende des TV-Duells gestellt. Aber auch hier habe ich nicht wirklich etwas erfahren.
Gleichberechtigung
Auch zu diesem Thema wurde rein gar nichts gesagt. Weder die Moderatoren (zwei davon weiblich) haben Fragen zur Gleichberechtigung gestellt, noch war es den beiden Kanzlerkandidaten ein Anliegen, etwas dazu zu sagen. Zumindest hat Schulz kurz auf die Gehaltsunterschiede hingewiesen. Das Beispiel, dass er genannt hat, war, dass eine Krankenschwester in 60 Sekunden 40 Cent verdient, während ein Manager in einem Großunternehmen für dieselbe Zeit mehr als 30 Euro bekommt. Ist das gerecht? Wenn wir danach bewerten würden, wer von den beiden mehr Verantwortung trägt, müssten doch beide ungefähr dasselbe verdienen, oder etwa nicht?
Die Krankenschwester trägt für das Wohl der Patienten Sorge und der Manager für ein paar hundert oder tausend Arbeitsplätze. Wie will die Politik diese immer größer werdende Kluft zwischen Mittelschicht und Oberschicht verhindern? Alles Fragen, die anscheinend nicht wichtig genug sind.
Fazit
Das Duell hat mich sehr enttäuscht. Ich hätte mir mehr von unserer „Mutti“ und dem ehemaligen EU-Parlamentspräsidenten erhofft. Obwohl die Flüchtlingskrise ein wichtiges Thema ist und viele Menschen darüber Bescheid wissen möchten, wie es mit den Flüchtlingen in Deutschland weiter geht, bin ich enttäuscht darüber, dass den anderen wichtigen Themenblöcken so wenig Beachtung geschenkt wurde. Was ist mit der Rentenpolitik? Was ist mit der Schulbildung in Deutschland, die von allen Seiten heftig kritisiert wird? Was ist mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau in allen Bereichen unseres Lebens? Was ist mit der Technologisierung unseres Landes und den damit wohl wegfallenden Arbeitsplätzen? All diese Fragen blieben im Grunde unbeantwortet. Auch die Moderatoren hätten sich mehr Mühe geben können.
Wie wäre es mit Fragen gewesen, die nicht nur ihre Generation betreffen, sondern vor allem die ihrer Kinder? Unsere Generation. Die zukünftigen Generationen.
Bleibt nur zu hoffen, dass in der nächsten Legislaturperiode diesen Themen mehr Beachtung geschenkt wird und diese im Bundestag diskutiert werden – hoffentlich von einer verantwortungsvollen Regierung.