“Wir sind hier, wir sind laut. Weil ihr unsere Zukunft klaut!”
Erlebnis-Splitter von "Fridays für Future" in Karlsruhe
Eine einzelne Schülerin stand im Sommer 2018 einsam an einer Straße in Schweden und protestierte. Greta Thunberg. Sie hatte etwas zu sagen: Solange zu wenig für den Umweltschutz getan werde, würde sie nicht in die Schule gehen. Wozu auch? Investitionen in die Zukunft würden sich nur lohnen, wenn es eine lebenswerte Zukunft in unserer Umwelt gebe. Mittlerweile protestiert sie nicht mehr jeden Tag, aber weiterhin jeden Freitag. Das hat eine weltweite Bewegung bei jungen Menschen ausgelöst. Bei zwei Demonstrationen war ich dabei: in Stuttgart im Februar und in Karlsruhe am 15. März 2019, dem Tag, an dem weltweit noch nie so viele junge Menschen für ein gemeinsames Ziel auf die Straßen gegangen sind: für mehr Klimaschutz. Hier meine Eindrücke aus Karlsruhe. Kleine Erlebnis-Splitter, die atmosphärisch viel aussagen.
“Zum Glück habe ich meine Bahn verpasst.”
Auf dem Weg zur Demonstration nehmen wir von Rastatt eine Straßenbahn Richtung Marktplatz in Karlsruhe. Eine alte Dame steigt ein, ihre Hände zittern stark, sie geht vornüber gebeugt. Sie hat drei Einkaufstaschen dabei und stellt diese ab, um mit wackeliger Hand ihr Ticket zu lösen. Ich halte ihre Beutel. Sie ist mir dankbar, als ich ihr meinen Sitz freimache, und sie auf dem karierten Polster Platz nehmen kann.
Ich erzähle ihr, dass wir auf die Demonstration von Fridays for Future gehen. Sie ermutigt uns, betont die Wichtigkeit dieser Aktion und auch, dass diese während der Schulzeit stattfindet. Zu jedem anderen Zeitpunkt – so ihre Meinung – hätte unsere Protestbewegung niemals diese Bedeutung erreicht. Es wäre nun einmal ein Ärgernis, wenn Kinder nicht brav zur Schule gehen würden. Sie wäre auch dabei, wenn sie nur körperlich in der Lage wäre. Sie drücke uns aber die Daumen. Dann erzählt sie mir, dass sie selbst am nächsten Wochenende zu einer Kundgebung nach Baden-Baden gehe. So unterhalten wir uns und sie vertraut mir an, dass sie glücklich darüber ist, ihre eigentliche Bahn verpasst zu haben – so hat sie stattdessen uns getroffen. Auch ich bin darüber froh.
Die Zukunft gehört allen!
Wir laufen durch die Straße, überall um mich herum laute junge Menschen, die für ihre Zukunft kämpfen. Immer wieder der Spruch: “Wir sind hier, wir sind laut. Weil ihr unsere Zukunft klaut.” Die Menschenmenge trägt mich. Unglaublich viele junge Menschen, Grund- und Berufsschüler, Gymnasiasten und Realschüler. Darunter auch vereinzelt Erwachsene, die uns zuerst zögernd zuhören. Nach dem ein oder anderen Blickkontakt sogar mit einstimmen. “Wir sind hier, wir sind laut…”.
Euphorie und Aufregung liegen in der Luft, so dick, dass niemand dem Gefühl entkommen kann. Wir laufen durch eine Straße, links und rechts Läden, darüber Häuserwände und Fenster. Aus einem winkt uns eine alte Frau zu. Wir jubeln ihr entgegen. Als ihr Mann dazukommt und uns auch winkt, wird der Jubel noch lauter. Ein Treffen der Generationen, wunderbar vereint.
Solidarität per Blickkontakt
Eine Polizistin steht am Straßenrand. An ihr zieht die protestierende Menschenmenge vorbei. Wir nehmen Blickkontakt auf, während wir unseren Spruch skandieren: “Wir sind hier, wir sind laut. Weil ihr unsere Zukunft klaut.” Ich lächle sie an, sie lächelt zurück – eine kurze Bezeugung von Solidarität. Zumindest empfinde ich es so.
Zwei junge Frauen und ein kleiner Junge
Ein kleiner Junge, ein paar Menschenreihen hinter mir, versucht immer wieder, einen Sprechchor anzufangen. Aber seine hohe, kindliche Stimme geht unter und niemand antwortet. Nach einiger Zeit nehme ich meine Freundin an die Hand, und wir drängen uns durch die Masse nach hinten. Nun rufen wir zu dritt – zwei junge Frauen und ein kleiner Junge: “WHAT DO WE WANT?” und Hunderte von Menschen antworten: “CLIMATE JUSTICE”.
Wir: “AND WHEN DO WE WANT IT?” und die Masse antwortet: “NOW!”.
“Für unsere Enkel – eure Großeltern”
Auf dem Marktplatz ist es windig, kalt und nass. Die Akkustik der Redner ist schlecht, und wir warten darauf, dass sich die Demonstration endlich in Bewegung setzt. Um uns die Zeit zu vertreiben, schauen wir uns die Schilder an, die um uns herum über den Köpfen zu sehen sind. “It’s getting hot in here – take off your coals”. “Die Dinosaurier dachten auch, sie hätten Zeit”. “Opa, was ist Schnee?” Zwei gefallen mir besonders: “Wie hinterlassen wir die Erde? Entschuldigungen sind NICHT genug.” Und: “Wir haben die Erde von unseren Eltern geliehen”. Oma und Opa haben zu den selbstgemalten Schildern auch die Namen ihrer sieben Enkel geschrieben! (Siehe Foto)
Der geparkte SUV
Wir laufen an einem SUV vorbei. Demonstranten haben hinter die Scheibenwischer ein selbst gebasteltes Schild geklemmt: “ÖPNV statt SUV”. Dem Auto passiert nichts, aber ich frage mich: Wie hat diese Person wohl reagiert, nachdem sie dieses Schild gefunden hat… Und wie parkt man mit einem riesigen Auto in der Karlsruher Innenstadt?