„Was würde ich tun?“
7. Schwerpunktthema: Lebenswege von Geflüchteten – mit einer Wanderausstellung
Auf einmal waren sie da. Hunderte von Flüchtlingen aus vielen Teilen der Welt. Auch hier im Landkreis Rastatt. Behörden, Kitas und Schulen mussten schnell reagieren und Menschen unterbringen. Vieles hatte mit Statistik zu tun: Welche Kommune muss wie viele aufnehmen und was kostet das? Aber hinter den Zahlen stecken Schicksale. Eine Ausstellung stellt die Geschichten hinter den Gesichtern vor und fragt den Betrachter: „Was würde ich tun?“ Dazu haben wir von der Jugendzeitung RAVOLUTION 17 Geflüchtete interviewt: Warum sind Sie geflohen?
Wir haben Fragen gestellt: Was erwarten Sie von Deutschland? Was können Sie einbringen? Welche Pläne haben Sie und welche mussten Sie aufgeben? Oder auch: Fühlen Sie sich hier an Murg und Rhein schon heimisch? Die portraitierten Flüchtlinge kommen aus Syrien, Afghanistan, Gambia, China und dem Irak. Junge Männer und Frauen, Väter und Mütter, alle rund um Rastatt und Bühl in ihrem neuen Leben gelandet. Die 7. Ausgabe der Onlinezeitung beschäftigt sich mit dem Thema „Lebenswege“. Dieser Artikel erscheint auch bei unserem Medienpartner, den Badischen Neuesten Nachrichten.
Die Geschichten sind bei uns nachzulesen. Aber auch unter der eigens eingerichteten Domain www.was-wuerde-ich tun.de und auf großformatigen Bannern, die ab Samstag an verschiedenen Stationen im Landkreis in den nächsten Monaten zu sehen sein werden. Startschuss ist im Rahmen der Interkulturellen Wochen am Samstag, 29. November 2018, um 18 Uhr im Friedrichsbau in Bühl.
Das Projekt „Was würde ich tun?“ entstand zusammen mit dem Deutschen Roten Kreuz, Kreisverband Bühl-Achern e.V., der Stadt Bühl, dem Verein Junge Flüchtlinge Rastatt und unserer Jugendzeitung RAVOLUTION. Wir Rastatter Jungjournalisten haben uns mit den Geflüchteten getroffen, ihnen zugehört und viele Fragen gestellt. Dabei haben wir gerade bei unseren Gleichaltrigen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, immer wieder Parallelen zu unseren Leben angestellt: Vergleiche zu Schulbildung, Rechten und Freiheiten. Zum Beispiel bei Anas, 22 Jahre, aus Damaskus in Syrien. Er wohnt mit einem Bruder in Gaggenau und macht ein Vorbereitungsjahr für eine Pflegeausbildung am Klinikum Rastatt. Sein Berufswunsch ist geplatzt: Er wollte in seiner Heimat Jura studieren und eines Tages die Kanzlei seines Vaters übernehmen. Doch der Krieg zwang ihn zur Flucht – und somit zu neuen Zielen.
Dieses Schicksal teilen viele in seinem Alter. So wie Mouhnnad, der bei Hauraton in Rastatt eine Ausbildung zum Industriekaufmann macht. Durch eine Bombe war er verletzt worden und sein Bruder getötet. „Mein Vater wollte nicht noch einen Sohn verlieren“, sagt er, und gehorchte dem Befehl, sofort zu fliehen. Gerade frisch verheiratet, mit tollem Job und neuer Wohnung. Bloß raus aus Syrien. Wenn Mouhnnad von seiner Flucht erzählt, werden die 20-Uhr-Nachrichten sehr lebendig, kommen Angst und Schrecken ganz nah. Fast zeitgleich, als der Europarat von Menschenrechtsverstößen und Verfolgungen durch Polizisten in Ungarn berichten, erzählt uns der junge Syrer, wie ungarische Ordnungskräfte Hunde auf ihn hetzten. Er hat überlebt. Das ist das Wichtigste. Mittlerweile ist auch seine Frau Laila in Deutschland angekommen und lernt eifrig Deutsch.
Die Geflüchteten absolvieren Sprachkurse oder besuchen Schulen. Bis zum 18. Lebensjahr besteht für jeden Schulpflicht, unabhängig von der Nationalität. Wer älter ist, muss Glück haben, um einen Platz in einer Klasse zu ergattern. Dabei wollen die meisten zumindest einen Hauptschulabschluss erzielen. Das wünscht sich auch Parwa aus dem Irak für ihre beiden Kinder: eine gute Bildung. Die studierte Anwältin weiß, dass sie ihren Beruf in Deutschland nie ausüben kann. Zu unterschiedlich sind die Rechtssysteme und die Gesetzeslagen. Auch sie muss ihr Leben komplett neu planen.
Doch die Berichte der Geflohenen handeln nicht nur von aufgegebenen Träumen und Perspektiven. Viele erzählen von der Todesangst auf ihrer Flucht – und dass sie immer noch nachts aufwachen. Gepeinigt von Erinnerungen an Krieg und Terror, an Flucht und Misshandlungen. Dennoch schaffen es die meisten von den Geflüchteten bei den Treffen des Vereins „Junge Flüchtlinge Rastatt“ zu lachen. Sie engagieren sich und machen fleißig mit in ihrem Zusatzunterricht, einer Mischung von Gemeinschaftskunde und Deutschstunden. Es macht ihnen Spaß, etwas über das Land zu lernen, das sie aufgenommen hat. Außerdem fangen sie an zu verstehen, weshalb sie manchmal beschimpft und bedroht werden. Wie oft ihre Religion, der Islam, im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen steht. Dabei hoffen sie, als Individuen wahrgenommen zu werden – und nicht wegen Untaten von Islamisten. „Kennen Sie etwa keinen Christen, der böswillig ist?“, fragt Ahmad aus Syrien.
Wir Ravolutionäre lernen Flüchtlinge und Ehrenamtliche aus der Region kennen, die sich um die jungen Menschen und Familien kümmern. Neben dem großen Aufwand, um bürokratische Hürden gemeinsam zu bewältigen, steht im Mittelpunkt das Interesse am jeweiligen Lebensweg, an den verschiedenen Kulturen und Religionen. Gespräche werden oft begleitet von gemeinsamem Essen. Wobei die Ehrenamtlichen immer wieder erstaunt sind über die große Gastfreundschaft von Arabern, Afrikanern und Asiaten. Manchmal kommt bei den Treffen noch Musik hinzu. Die Brüder Ahmad und Yasan packen ihre Gitarren aus und spielen alte arabische Lieder und neue selbstkomponierte Stücke. „Danke Deutschland“ gehört dazu. Begleitend zu der Ausstellung spielen und singen die beiden Syrer in der Region. Immer wieder begleitet von anderen Flüchtlingen und deutschen Jugendlichen. So wie vergangenen Samstag in der Fruchthalle.
In vielen Gesprächen wird in kleinen Schritten und mit Herzblut Integrationsarbeit in Rastatt geleistet. Wobei die große Welle an aufgenommenen Flüchtlingen vorüber ist. 383 Flüchtlinge leben derzeit in vier Gemeinschaftsunterkünften in Rastatt. 3467 Menschen befinden sich in Anschlussunterbringungen in den Kommunen im Landkreis. Die Aufnahmequote des Landkreises beträgt 2,479 Prozent. So der derzeitige Stand laut Landratsamt. Aber die Arbeit mit den Geflüchteten endet nicht. „Integration ist keine Einbahnstraße“, sagt Ute Kretschmer-Risché, 1. Vorsitzende des Vereins „Junge Flüchtlinge Rastatt“ und Chefredakteurin unserer Jugendzeitung RAVOLUTION. Wenn Integration gelingen soll, sagt sie, muss von beiden Seiten aus Initiative geleistet werden. Ihr Tipp: „Hören Sie Menschen zu und versetzen Sie sich in deren Lage. Fragen Sie sich: Was würde ich tun?“
In unseren Interviews wird schnell deutlich: Viele Flüchtlinge suchen ihre Chance in Deutschland und wollen der Region, die sie aufgenommen hat, etwas zurückgeben. Zum Beispiel Xia aus China, die wegen ihres christlichen Glaubens verfolgt wurde und fliehen musste, macht eine Ausbildung zur Altenpflegehelferin. Dabei war sie in ihrer Heimat Apothekerin. „Ich will kein „Flüchtling“ sein“, sagt Ahmad, 27 Jahre alt, aus Damaskus in Syrien. Er hat eine abgeschlossene Ausbildung bei einem Unternehmen in Ottersweier. Seine Worte stehen für die Bitten vieler Geflohenen: „Bitte seht uns als Menschen.“ Die Ausstellung will zum Nachdenken anregen: „Was würde ich tun?“
Auftakt in Bühl
Die Vernissage der Ausstellung „Was würde ich tun?“ ist am Samstag, 29. September 2018, um 18 Uhr im Friedrichsbau in Bühl mit Talkrunde, moderiert von SWR-Moderator Günter Laubis. Die Ausstellung wird anschließend vom 2. bis 25. Oktober in der Mediathek Bühl gezeigt. Weitere Termine im Landkreis folgen.