„Was kritisch ist, wird massiv hinterfragt“
Interview mit Roman Zitzelsberger zum Thema Aufsichtsrat und Skandale
RAVOLUTION: Sie sind im Aufsichtsrat bei Daimler. Kartellvorwürfe, Software-Skandal – es scheint, als würden die wichtigen Themen unter der Hand geregelt. Für was braucht man einen Aufsichtsrat, wenn er doch über keinerlei Aufsicht verfügt? Sind Aufsichtsräte nur ein Werbegag der Unternehmen?
Roman Zitzelsberger: Das wäre komisch, wenn ich jetzt sagen würde: Ja! Aber das ist eindeutig nicht so. Aufsichtsräte haben eine extrem wichtige Bedeutung. Nicht nur als formale Aufsicht für die Aktionäre der Unternehmen, sondern auch in der Mitbestimmung. Die Arbeitnehmerseite hat in den größeren Kapitalgesellschaften genauso viele Sitze im Aufsichtsrat wie die Kapitalvertretung. Arbeitnehmervertreter schauen nochmal ganz anders auf Fragen wie Nachhaltigkeit und gute Arbeitsplätze, aber natürlich auch auf gute Produkte und langfristige Orientierung sowie Zukunftsfähigkeit. Die Vertreter der Kapitalseite sind eher mal an schneller Rendite interessiert und immer wieder gibt es in Aufsichtsräten Auseinandersetzungen um die strategischen Ausrichtungen der Unternehmen.
RAVOLUTION: Aber wie kann es sein, dass so etwas wie der Software-Skandal passiert?
Roman Zitzelsberger: VW hat als einziges Unternehmen zugegeben, geschummelt zu haben, bei anderen wird ermittelt. Ich kann zu dem konkreten Thema aus rechtlichen Gründen nichts sagen, weil man als Aufsichtsrat auch bestimmte Verpflichtungen hat. Allgemein kann ich versichern, dass alles, was kritisch ist, massiv hinterfragt und bearbeitet wird. Aber ein Aufsichtsrat ist ein Aufsichtsgremium nach innen, kein berichtpflichtiges Gremium nach außen. Ganz im Gegenteil: Aufsichtsräte haben klare Verschwiegenheitspflicht. Eine Gesellschaft zu überzeugen, den Kunden Vertrauen und Sicherheit zu geben – das ist nicht die Rolle des Aufsichtsrats. Das muss natürlich der Vorstand machen. Wir achten darauf, dass die Entscheidungen des Vorstands in die richtige Richtung laufen.
RAVOLUTION: Wir haben hier ein Zitat vom Deutschen Gewerkschaftsbund: „Das Machtungleichgewicht ist zugunsten der Unternehmer gewachsen.“ Was können wir als nächste Generation machen, dass der Einfluss der Arbeitnehmer nicht verloren geht?
Roman Zitzelsberger: Das ist immer eine Berg- und Talfahrt. In der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 waren die Unternehmen massiv auf die Hilfe der Arbeitnehmervertretung angewiesen, damit nicht alles den Bach runter ging. Da hat man deutlich mehr auf uns gehört als in Phasen, in denen einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Gelebte Mitbestimmung muss jeden Tag erstritten werden: Dass die Rechte, die das Gesetz oder Tarifverträge den Arbeitnehmern zugestehen, auch tatsächlich umgesetzt werden und funktionieren. Ich nehme mal das Beispiel: Im Tarifvertrag steht, dass Auszubildende generell einen Tag vor Prüfungen frei haben. Das heißt aber nicht, dass das im Betrieb automatisch gemacht wird, sondern im Regelfall wird dort darüber nochmal gestritten. Da müssen dann die Jugend- und Auszubildendenvertreter und die Betriebsräte ran und gemeinsam den Arbeitgeber überzeugen, sich dran zu halten. Das Gute daran ist, uns geht die Arbeit nie aus.