Viele veränderte Welten verändern die Welt
Von den Erfolgen der FFF: die Protestforschung in drei Stufen
„Die wollen doch nur Schule schwänzen – Was bringen die ganzen Proteste denn?“ Erst wurde kritisiert, dass keine klaren Forderungen bestehen. Jetzt gibt es eine Liste von klar definierten Zielen und Deadlines – und es wird kritisiert, dass ja nichts erreicht würde.
Das ist aber falsch. Es geht um die Betrachtungsweise. Bisher gibt es keine CO2-Steuer, aber wäre sie überhaupt so heiß diskutiert worden, wären nicht tausende Schüler auf die Straße gegangen? Wo es früher nur Plastiktüten in der Gemüseabteilung gab, gibt es heute wiederverwendbare Netze. Wo die Bioabteilung ein Regal groß war, sind es heute zwei Regale. Wo Pendler täglich mit dem Auto gefahren sind, fahren sie jetzt mit dem Zug oder dem E-Bike. Das Denken ändert sich. Gewohnheiten werden überprüft – und oft geändert.
Das ist die Voraussetzung. Wenn sich viele kleine Welten verändern, verändert sich die Welt mit. Weil wir die Welt ausmachen und gestalten. 300.000 Schüler waren am 15. März 2019 auf der Straße. Inoffiziell haben sie sich damit zu einem Grundbewusstsein für Umwelt und Nachhaltigkeit bekannt. Fridays for Future bewegt Menschen. Politisch und wirtschaftlich. Offiziell einsehbar sind wir der Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1,5° Celsius (das Kernziel der FFF-Klimabewegung) nur in kleinen Schritten näher gekommen. Aber die Grundlage im Bewusstsein vieler Menschen ist geschaffen.
Der Mobilisierungserfolg ist da. Hunderttausende Schüler, 27.000 Wissenschaftler und viele Eltern, Unternehmer und Politiker haben sich zum Umweltschutz als höchste Priorität bekannt. Der Rückhalt ist da und wächst mit jedem Protest. Klimapolitik steht immer weiter oben auf der Agenda. Politiker und Unternehmer hören zu und schauen hin. All das ist definitiv ein Erfolg der Schülerbewegung. Vor einem Jahr war der Klimawandel nur ein Thema unter vielen, oft überschattet von Flüchtlingspolitik, Wirtschaftsnachrichten und anderem. Noch im Frühjahr schien die Diskussion über Sommer- und Winterzeit wichtiger als die Zukunft des Lebens der menschlichen Spezies. Jetzt wird alles unter Klimagesichtspunkten betrachtet. Es ist aus Diskussionen zu jeglichem Thema nicht mehr wegdenkbar.
Fridays for Future ist zu einer Form außerparlamentarischer Opposition geworden. Es sind nicht nur ein paar Schüler, die Schule schwänzen. Es sind junge BürgerInnen, die sich engagieren, recherchieren, das Gespräch suchen und Argumente einbringen, die die Verantwortlichen jedoch noch zu wenig berücksichtigen. Es sind SchülerInnen, die Verantwortung für ihre Zukunft übernehmen und an ihre Werte glauben. Wo Politiker und Unternehmer zu bequem sind, langfristige Prioritäten zu setzen, sorgen SchülerInnen für den Aufschrei in der Gesellschaft, zwingen die Verantwortlichen, die Augen zu öffnen, hinzusehen und notwendige Entscheidungen zu treffen.
In Modellen der Protestforschung gibt es drei Stufen, um die Erfolge von Demonstrationsbewegungen zu messen:
1. Mobilisierungserfolg. Das hat Fridays for Future sehr schnell geschafft. Egal wie es weitergeht. In den Geschichtsbüchern wird der Name der Bewegung zu finden sein. Nur nach wenigen Monaten gibt es bereits mehrere hunderttausend Unterstützer, allein in Deutschland.
2. Policy-Erfolg. Das wäre das konkrete Erreichen von Forderungen und Zielen, wie zum Beispiel die Einführung einer CO2-Steuer. Dies wird sich Ende 2019 messen lassen: In Deutschland, fordern die Jugendlichen auf ihrer Webseite, soll bis Ende 2019 ein Viertel der Kohlekraft abgeschaltet werden. Es soll endgültig keine Subventionen für fossile Energieträger mehr geben, und eine Steuer auf alle Treibhausgas-Emissionen eingeführt werden (Ideal wären 180 € pro Tonne, da das den Kosten entspricht, die auf uns und künftige Generationen zukommen, um die Schäden durch die CO2-Emissionen auszugleichen.*)
3. Gesellschaftlicher Erfolg: Der Wandel der Lebensführung großer Menschenmassen. Die Fridays-for-Future-Organisation erreicht diese Ziele parallel. Während sie Menschen mobilisiert, verändert sich das Denken dieser Menschen. Während sie Stück für Stück Zwischenziele auf dem Weg zum 1,5-Grad-Ziel erreicht, finden sich mehr und mehr Unterstützer. Am Ende geht es um das Ergebnis: Darum, ob wir in 100 Jahren noch eine lebenswerte Welt vorfinden. Darum, ob in 1000 Jahren die menschliche Spezies noch existiert. Und darum, dass wir spätestens 2035 die Nettonull, eine 100% erneuerbare Energieversorgung und den Kohleausstieg in Deutschland erreicht haben.
Fridays for Future ist erfolgreich, weil SchülerInnen Menschen erreichen und auf Themen aufmerksam machen – und weil sie Welten verändern. Mit jeder Diskussion, die bewirkt, dass mein Gegenüber das nächste Mal zum Gemüsenetz statt zur Plastiktüte, zu einem Fairtrade-T-Shirt statt 5 Primark-T-Shirts oder zum Fahrrad statt dem Auto greift, verändere ich die Welt meiner Mitmenschen im Kleinen. Und dank des Prinzips von Angebot und Nachfrage ändert sich so langfristig auch die Welt – politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich.
Die Investitionen in nachhaltige Unternehmen sind enorm angestiegen. Die Menschen verstehen langsam, dass sie Verantwortung tragen für die Zukunft unserer Spezies. Umdenken ist ein langsamer Prozess, weil der Mensch, biologisch betrachtet, ein energiesparendes Gewohnheitstier ist. Doch das Umdenken findet statt. Die Gewohnheiten verändern sich. Und das ist das, was zählt.
Wir brauchen die SchülerInnen, die uns immer wieder erinnern, über unsere Prioritäten nachzudenken, unsere Komfortzone zu verlassen und Verantwortung für die Zukunft der Menschheit zu übernehmen. Es ist Zeit, dass jeder sich Gedanken über seine Welt macht und offen ist für Veränderungen und für die Argumente der Jugendlichen und von 97 % der Wissenschaftler, die den Klimawandel ohne Zweifel als existent bezeichnen.
Ohne Zweifel hat Fridays for Future jetzt schon eine Menge Erfolge aufzuzeigen. Und es werden noch viele weitere hinzukommen, denn so lange die Verantwortlichen keine Verantwortung übernehmen, werden die Schüler auf die Straße gehen, um es von ihnen einzufordern. Die Kinder sehen sich in der Pflicht, den Erwachsenen zu zeigen, was wirklich zählt. Damit sich die ganze Welt verändert und auch große Erfolge zu sehen sind, müssen die Politik und die Wirtschaft – spezifischer die Menschen, die Verantwortung tragen, realisieren, dass sie für über 80 Millionen Menschen allein in Deutschland und für die Zukunft der menschlichen und vieler anderer Spezien verantwortlich sind. Dementsprechend sollten sie handeln und langfristig und nachhaltig Prioritäten setzen. Sie sollten über Wahlperioden hinausdenken und kurzfristigen Gewinn, der nicht auch ökologische Ziele beinhaltet, nicht als höchstes Ziel bewerten. Der Erfolg von Fridays for Future steigt mit jedem Menschen, der versteht und Verantwortung übernimmt.
Die Schülerbewegung will nicht nur die Welt retten. Vor allem will sie den Menschen auf dieser Welt retten. Dafür braucht es ein lebensfähiges Umfeld. Deshalb ist der Erfolg auch nur im Menschen zu finden: Das Umdenken. Das Bewegen. Das Verändern. Der Menschen. Von Gesellschaft. Wirtschaft. Politik. Und so von der Zukunft. In dieser einen Welt.
* Quellen:
https://fridaysforfuture.de/forderungen/
https://www.umweltbundesamt.de
Foto: Ale_Mi/Shotshop.com