„Unsere IG-Metall-Jugend macht uns Älteren Feuer unterm Hintern“
Interview mit Roman Zitzelsberger zum Thema Engagement
RAVOLUTION: Wir sind eine Jugendzeitung. Oft hört man von der älteren Generation, dass die Jugend sich nicht engagiert – wie ist das bei der IG Metall?
Roman Zitzelsberger: Es gibt natürlich auch viele Ältere, die bei uns engagiert sind, aber die IG Metall ist der größte politische Jugendverband in Deutschland. Wir haben mehr jugendliche Mitglieder als alle politischen Parteien zusammen, allein in Baden-Württemberg werden jedes Jahr etwa 5000 Berufsanfänger bei uns Mitglied. Darunter gibt es viele Aktive – zunächst in den Betrieben als Jugend- und Auszubildendenvertreter oder in den Dualen Hochschulen. Unsere IG-Metall-Jugend hat viele gute Ideen und macht uns Älteren Feuer unterm Hintern.
RAVOLUTION: Was können Sie der jüngeren Generation als Motivation mit auf den Weg geben, damit sie sich in Gewerkschaften engagiert?
Roman Zitzelsberger: Das sind zwei Ebenen: Zum einen wollen wir als Gewerkschaft etwas in der Gesellschaft verändern – auch über den Arbeitsalltag in den Betrieben hinaus. Dabei geht es um gesellschaftliche, ökologische und soziale Fragen. Andererseits bewegen uns praktische Dinge: Unter welchen Bedingungen man arbeitet oder eine Ausbildung macht. Mal ein Beispiel als ich eine Ausbildung gemacht habe: Wir hatten vor Abschlussprüfungen einen Tag frei. Das hatten wir damals durchgesetzt und das stand im Tarifvertrag. In den letzten 35 Jahren hat sich die komplette Prüfungswelt verändert und es sind deutlich mehr Prüfungen hinzugekommen. Heute sagen unsere jungen Kolleginnen und Kollegen: Wir müssen daran arbeiten und vor allen Prüfungen freie Tage durchsetzen.
RAVOLUTION: Gewerkschaften kämpfen international mit Bedeutungsverlust. Wie kommt es, dass der Organisationsgrad sinkt?
Roman Zitzelsberger: Das trifft zum Glück nicht auf die IG Metall zu. Wir hatten zu Beginn der 90er bis Mitte der 2000er Jahre viele Mitglieder verloren, was sehr viel mit Arbeitsplatzabbau zu tun hatte. Seither haben wir wieder eine stabile bis positive Mitgliederentwicklung. In Baden-Württemberg sind rund 430.000 Menschen bei der IG Metall organisiert. Aber es gibt ein Thema, das uns umtreibt – der demografische Wandel. Der „Peak“ unserer Mitglieder liegt bei über 50 Jahren – ziemlich genau mein Alter.
International ist es leider vollkommen richtig, dass Gewerkschaften weniger durchsetzungsfähig und weniger bedeutender sind. Die Automobilindustrie beispielsweise hat in den letzten Jahren stark in Osteuropa expandiert. In manchen Ländern wie Polen findet gewerkschaftliche Bewegung faktisch gar nicht statt, und die Arbeitgeber können die Bedingungen selbst bestimmen.
RAVOLUTION: Im Interview mit der Stuttgarter Zeitung sagten Sie: „In der Rolle würde ich uns [also die IGM] auch heute sehen: Dass wir mit Nachdruck für einen Dreiklang von ökologischer Verantwortung, nachhaltiger Industrie und sicheren Arbeitsplätzen sorgen.“ Wenn es hart auf hart käme, würden Sie sich für ökologische Verantwortung oder sichere Arbeitsplätze entscheiden?
Roman Zitzelsberger: Das kann und darf kein Widerspruch sein. Ich mache ein Beispiel: Die Stickoxid-Konzentration in den Städten hat einen Jahresgrenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter. Es gibt auch eine maximale Arbeitsplatzkonzentration – das ist das, was in den Betrieben einem Beschäftigten für die Dauer von acht Stunden zugemutet werden kann. Das sind zum Beispiel bei Stickstoffdioxid 950 Mikrogramm. Für die IG Metall kann das Thema Umweltverträglichkeit gar kein Widerspruch sein, weil Menschen auch in der Produktion Umweltthemen ausgesetzt sind. Wir wollen saubere und gesunde Arbeit. Ökologie und gute und sichere Arbeitsplätze dürfen kein Widerspruch sein, sondern müssen immer einen Gleichklang darstellen