“Tauge ich selbst zum Vorbild?”
Unsere 6. Ausgabe von RAVOLUTION zum Themenschwerpunkt Vorbilder
Ein Leben lang lernen. Das ist die Aussage unserer Zeit. Als Kinder lernen wir Sprechen über Zuhören. Wir imitieren Menschen aus unserem Umfeld. Wenn wir Glück haben, machen die Erwachsenen um uns herum vieles richtig. Wir schauen zu ihnen hoch. Wünschen uns im besten Falle zu werden wie Mama, Papa, Großeltern, älterer Bruder, Nachbar, Lehrerin … Alle haben Vorbildfunktion – auch wenn sich vielleicht nicht alle darüber im Klaren sind. Vorbild sein. Vorbild finden. Vorbild werden. Möglichst eine Frage der Reflektion. Oft der Emotion.
Vorbilder können Helden sein, Idole, Leitfiguren. Das mag sich im Laufe des Lebens ändern. Wenn der Vater nicht mehr strahlender Held ist, sondern ein Mensch, an dem man sich reibt und stört. Gut so. Vorbilder sind keine in Stein gemeißelten Denkmäler. Sie dürfen auch mal fehlen, müssen gar nicht perfekt sein. Aber sie sollten zu ihrem Handeln stehen, es erklären können und auch mal zugeben, wenn sie Mist gebaut haben – und sich entschuldigen. Da fällt einem Vorbild kein Zacken aus der Krone. Vorbilder sollten in ihrem Tun und Sagen nicht unerreichbar sein. Denn Glaubwürdigkeit ist ein wichtiges Gut.
Ich will werden wie … eine bewusste oder unbewusste Entscheidung. Wobei man sich fragen sollte: Was gefällt mir an der ausgewählten, vielleicht sogar angehimmelten Person? Was ist es, wonach ich selber strebe? Seit über 20 Jahren frage ich Jugendliche:
Was sind deine Hobbys?
Wer ist dein Vorbild?
Wie informierst du dich, was in der Welt passiert?
In den zwei Jahrzehnten hat sich viel getan. Mit den Antworten aus meiner Jugend hat das nichts mehr zu tun.
Lesen als Hobby? Uncool.
Vorbilder? Achselzucken.
Informationsmedium Zeitung? Ach nee.
Vorbilder werden so gut wie gar nicht mehr genannt. Sicher auch die Folge, dass wir Menschen, die wir früher durch ihre Funktion als unbestrittene Leader angesehen haben, als skrupellos, unsozial oder egoistisch erfahren. Der Chef von VW. Ach ja. Der Präsident der Vereinigten Staaten. Ojeh. Der Gewinner der Tour de France. Pfui. Der Filmproduzent in Hollywood. Igitt.
Vorbilder sollten Personen sein, die Werte darstellen. Doch darüber lässt sich trefflich streiten. In einer Welt, in der der Ehrliche der Dumme scheint. Vor allem seitdem in Fernsehen oder auf YouTube ganz andere Stars und Sternchen gepusht werden. Paris Hilton als Vorbild? Oder Heidi Klum? Bloß nicht. Oder sehe ich nur die Hülle? Vielleicht Ramos, der auf dem Fußballplatz alles gibt? Das kann man als erstrebenswertes Ideal sehen. Oder als hemmungslosen Rambo werten. Oder Uli Hoeneß? Der Machtmensch mit der angeblich sozialen Ader. Sportler können gute Vorbilder sein – oder abschrecken. Das gilt für Politiker ebenso wie für Wirtschaftsbosse. Für Sportler wie für Künstler. Das Anti-Vorbild, um für sich selbst zu definieren: Nein, bitte nicht so werden. Dazu gehören die Despoten unserer Zeit als abschreckende Beispiele. Aber den Gradmesser dafür muss jeder selbst definieren. Siehe den spanischen Fußballer Ramos.
Was könnte nun ein Vorbild darstellen? Was muss ein Vorbild mitbringen? Und welche Funktion hat ein Vorbild? Früher nannten wir Mahatma Ghandi, Martin Luther King, John F. Kennedy, John Lennon, Hermann Hesse, sogar Alice Schwarzer oder Che Guevara. Heute eher selten aufgeführt. In unserer Medienwelt ist jetzt schnell mal einer ein Sternchen, das wieder vom Himmel verschwindet. Hochgepusht, durchleuchtet und lächerlich gemacht. Da frage sich doch jeder selbst: Ist das erstrebenswert? Was gebe ich von mir selbst preis? Und für welchen Preis?
Jessica Stolzenberg hat in dieser 6. Ausgabe von RAVOLUTION eine Liste erstellt, wie ein Vorbild sein sollte. Lea Spitz fragt dagegen: Brauchen wir überhaupt noch Vorbilder? Sandra Overlack schreibt einen Brief: “Liebes Vorbild” und Susanna Meyer nimmt sich das Gegenteil vor: “Liebes Anti-Vorbild”. Paula Ennecke verfasst dieses Mal den lokalen Artikel und sucht Helden in Rastatt. Das ist der Bericht, der bei unserem Medienpartner Badische Neueste Nachrichten abgedruckt wird.
Die Auseinandersetzung mit Idolen, Helden und eben Vorbildern ist vielfältig. Wenn ein Vorbild zur Qual wird … Wenn man ein Vorbild plötzlich an ungeahnter Stelle entdeckt … Wenn sich ein Vorbild im Laufe der Geschichte als falsches Vorbild herausstellt. In einem Gastbeitrag schreibt Stefan Risché, Jahrgang 1958, über die fatale Begeisterung seines Vaters in der Hitler Jugend. Als warnendes Beispiel, wie man mit eingeschränktem Wissen dem falschen Vorbild blindlings hinterherrennen kann.
Letztendlich muss sich jeder selbst die Fragen stellen: Welchen Idealen möchte ich – im idealen Sinne – hinterher eifern? Und durchaus auch: Wie kann ich selbst zum Vorbild werden? Laurin Langeheine beschreibt Jugendliche, die mit ihren Ideen und ihrem Standing international für Furore sorgen. Und was ist, wenn man einen berühmten Nachnamen trägt und Nachfahre einer großen Berühmtheit ist? Zazou Hassouna, deren Vorfahre US-Präsident Roosevelt ist, schreibt über die 9-jährige Enkelin von Martin Luther King. Da trifft uns der Hauch von Geschichte direkt in die Redaktionsseele von RAVOLUTION. Aber lesen Sie selbst …