“Richtig” und “Falsch” vermischen sich
Der realistische Blick auf Vorbilder im Laufe der Zeit
Es gibt kein makelloses Vorbild – weil es keinen makellosen Menschen gibt. Das ist ein Fakt. Auch solche Unschuldslämmer wie der Dalai Lama sind mit Sicherheit nicht fehlerlos. Egal wie sehr er von seinen Anhängern verehrt und verteidigt wird. Dennoch ist er ein Vorbild für viele – auch für mich.
Trotzdem hänge ich nicht der Illusion hinterher, dass meine Vorbilder makellos seien. Selbst Michelle Obama, Immanuel Kant, Herrman Hesse und unzählige andere haben und hatten ihre Fehler – dennoch betrachten wir sie als Vorbilder und orientieren uns an ihnen, wenn es um unsere eigenen Werte und Entscheidungen geht, die wir treffen müssen.
Mit der Zeit lernt jeder von uns, dass die Vorbilder, die man sich in jungen Jahren aneignet und die man idealisiert, ihre Macken haben und nicht so perfekt sind wie angenommen. Ich zum Beispiel musste erkennen, dass meine ehemalige Grundschullehrerin zwar so ziemlich perfekt war, aber dennoch ihre Lieblinge hatte und diese bevorzugte. Auch auf der weiterführenden Schule machte ich ähnliche Erfahrungen. Das führte dazu, dass ich langsam anfing, die Personen, die ich wie selbstverständlich als Ideal hingenommen hatte, anfing zu hinterfragen und dabei so manch eine desillusionierende Entdeckung machte.
Vor allem in der Zeit des Erwachsenwerdens können derartige Veränderungen der eigenen Wahrnehmung für Verwirrung sorgen. Enttäuschung und Unverständnis machen sich in einem breit, wenn die Wunschblase zerplatzt und die nackte Realität einem entblößt wird. Vor allem weil sich das eigene Denken verändert. Während man als Kind Lügen als unentschuldbar empfunden hat, wird einem jetzt die Notwendigkeit einer kleinen Lüge deutlich. Vor allem wenn man selbst irgendwann das kleine Geschwisterkind ins Bett bringen muss und es anlügt, damit es sich auch endlich dorthin bewegt.
Mit dem Erwachsenwerden wird die Welt zwar bunter, bekommt aber auch mehr Graustufen. Die Kategorien von “Richtig” und “Falsch” vermischen sich und sind nicht mehr deutlich von einander abzugrenzen. Deshalb verändern sich auch die Vorstellungen von Vorbildern. Man lernt, dass kein Mensch – auch man selbst – tadellos ist und begreift indessen die Notwendigkeit, über die Fehler einer Person hinwegzusehen und sich dennoch die Stärken eben jener Person eigen zu machen.
Gewisse Grundwerte muss ein Vorbild sicherlich erfüllen. Vor allem mit Blick auf die moderne, sich in Zukunft immer mehr globalisierende Welt, der wir gegenüberstehen. Um den Herausforderungen angemessen zu begegnen, muss zum Beispiel eine gewisse Toleranz gegeben sein, um unbefangen neue Dinge zu entdecken und zu bewerten. Außerdem muss ein Vorbild etwas haben, was Immanuel Kant den “Guten Willen” nennt. Der “Gute Wille” beschreibt ein Handeln, das aus der Absicht, etwas Gutes zu bewirken, geschieht. Auch die Tragweite des eigenen Handelns muss einem “idealen” Vorbild bewusst sein, damit dieses abwägen und reflektieren kann.
Bei all dem gehe ich davon aus, dass ein Vorbild, ein positives Vorbild ist, an dem man sich guten Gewissens orientieren kann. Dennoch bedeuten Vorbilder natürlich für jeden Menschen etwas anderes. Es gibt nicht immer “gute” Vorbilder – etwas von dem ich hier nun ausgegangen bin. Es gibt auch “negative” Vorbilder, die entweder ein gutes Beispiel bieten, wie man nicht sein möchte oder aber ein schlechtes Beispiel sind, welches eine Person in ihrer Wertesetzung beeinflusst. Letztendlich setzen wir uns unsere Werte selbst und wählen anhand ihrer unsere Vorbilder aus, welche diese Werte definieren oder erweitern.
Wie auch immer diese Wertesetzung vonstatten gehen mag – oder in welche Richtung – es bleibt zu begreifen, dass Vorbilder niemals ohne Fehler sind. Das ist aber auch gut so, denn ein junger Mensch lernt so, mit seiner eigenen Unvollkommenheit umzugehen und zu begreifen, dass zwar niemand – auch nicht er selbst – perfekt sein wird, aber eben auch das zum Menschen gehört und uns letztendlich menschlich macht.
Deshalb: Bitte verzeiht es den Vorbildern, die ihr euch nehmt, die wir uns nehmen, wenn sie nicht (mehr) perfekt erscheinen. Letztendlich seid ihr es, die sich weiterentwickelt haben. Ich bin sicher, die meisten versuchen, gute Beispiele zu sein – es sind auch nur Menschen.