Reden allein hilft nicht!
Was denken Flüchtlinge über Homosexualität?
“Ehe für Alle”. Jetzt ist sie durch. Homosexuelle Paare sind von nun an gleichberechtigt. Doch was sagen Menschen dazu, die in einer weniger toleranten Gesellschaft aufgewachsen sind wie wir? Wir haben nachgefragt! In einem Flüchtlingsheim in Rastatt treffen sich zehn geflüchtete Personen jeden Freitag zum „Deutsch-Unterricht“. Dieser dreht sich jedoch nicht um Grammatik, sondern um aktuelle Themen. Heute geht es um Homosexualität.
Die Mehrheit der Anwesenden kommt aus Syrien. Dort ist Homosexualität verboten. Deshalb sieht man keine gleichgeschlechtlichen Paare auf der Straße. Einer meint, dass er in der Schule trotzdem das Thema behandelt habe – allerdings nur bei einem Lehrer. Die anderen Syrer sind darüber sehr erstaunt. Wir erfahren, dass sexuelle Aufklärung generell erst sehr spät erfolgt – manchmal wohl erst kurz vor dem Schulabschluss. In einem bereits heiratsfähigen Alter.
Ein junger Mann aus dem Irak erzählt uns, Homosexuelle in seiner Heimat würden gesteinigt. Die Menschen dort seien sehr intolerant. Wir beginnen über Toleranz zu reden. Zuerst müssen wir den Begriff erklären. Schließlich haben ihn alle verstanden. Ein Syrer gibt uns daraufhin einen Spruch mit auf den Weg, den er gelesen hat: “Menschen sind wie die Finger an einer Hand – sie sind nicht alle gleich.” Dieser Vergleich gefällt uns gut. Wir sind alle Teil einer Gesellschaft, doch jeder ist für sich einzigartig. Wie skeptisch oder offen geflüchtete Menschen Homosexuellen gegenüber sind, lässt sich auch nach unserem Gespräch nicht eindeutig sagen. Schließlich sieht jeder von ihnen dieses Thema anders.
Lamya Kaddor schreibt: „Aus meiner Anti-Radikalisierungsarbeit mit Jugendlichen habe ich gelernt: Reden allein hilft nicht. Wenn ich zum Antisemitismus arbeite, ist es wichtig, irgendwann auch die Fakten und Sachlagen zu schildern, aber wenn ich nicht Kontakte zu echten Menschen vermittle, dann komme ich nie zum Ziel.“ (Aus dem Buch von Lamya Kaddor: “Die Zerreissprobe – Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht”, Oktober 2016; Rowohlt Berlin).
Zwar spricht Kaddor von Antisemitismus, aber grundsätzlich gilt das für jede Form der Ausgrenzung. Sobald ich Juden als Freunde habe, kann ich kein Antisemit mehr sein. Sobald ich meine ausländischen Nachbarn mag, kann ich nicht mehr ausländerfeindlich sein. Natürlich gibt es Personen, die dieses Paradox irgendwie in sich vereinen können – weil sie behaupten, dass diese Menschen die große Ausnahme sind. Trotzdem gibt es kein wirksameres Mittel gegen Marginalisierung als der persönliche Kontakt.
Gute Neuigkeiten: Toleranz gegenüber Homosexuellen ist ganz einfach. Denn wenn man längere Zeit in Deutschland lebt, trifft man ganz automatisch auf Schwule und Lesben.