Politiker, lasst Worten Taten folgen!
Kommentar zur "Ehe für Alle"
Meine Generation wächst in einer toleranten und fortschrittlichen Zeit auf. Diskriminierung hat in unserer heutigen Welt keinen Platz mehr. Political correctness. Antidiskriminierungs-Stellen in Behörden und Unternehmen. Mit der Möglichkeit zu klagen, wenn man sich benachteiligt führt. So wird es an den Schulen gelehrt. Darüber sprechen wir beim Stichwort Ethik und Gerechtigkeit. Da stellt sich mir die Frage, warum bei so viel Toleranz, die „Ehe für Alle“ ein so umstrittenes Thema war und ist. Welche Moral steckt dahinter?
Die Übermittlung von Werten durch die Umwelt beeinflusst unsere Vorstellungen. Es kommt ganz darauf an, welche Erfahrungen wir machen, wer uns wie erzogen hat oder unter welchen Verhältnissen wir aufgewachsen sind. Uns fällt es schwer, Traditionen, Gewohnheiten und Werte loszulassen oder sie zu verändern. Das Altbewährte gibt uns schließlich Halt, damit sind kein Gefahren verbunden. Viele Kinder lernen das klassische Bild einer Familie, ihnen wird ein Rahmen zum Aufwachsen gegeben und klare Rollen werden verteilt. Sie wissen, wie ihr späteres Leben ablaufen würde, Mädchen halten nach Jungen Ausschau, und Jungen nach Mädchen. Eine andere Ordnung würde sie schließlich verunsichern, ihnen keine Sicherheit und Geborgenheit geben, oder?
Zeiten ändern sich und mit ihnen müssen sich die Menschen und vor allem die Politik verändern. Das beste Beispiel ist ein Zitat Edmund Stoibers, des damaligen Innenministers Bayerns, aus dem Jahr 1991: „Wenn ich über steuer- und erbrechtliche Anerkennung von homosexuellen Paaren diskutiere, dann kann ich gleich über Teufelsanbetung diskutieren.“ Eine solche Aussage ist heute undenkbar und wurde von Stoiber 2002 durch die Anmerkung revidiert: Falls er auf dieser Position beharren würde, wäre er nicht veränderungsbereit. Einsicht oder Kalkül? Der gesellschaftliche Drang und der Strukturwandel zwangen ihn, seine Aussage zu korrigieren. Politiker, lasst Worten Taten folgen!
Schließlich bleibt die Frage, ob sich in dieser Zeit in Stoibers Denkweise und Moralvorstellung ebenfalls etwas verändert hat. Kann sich ein Mensch binnen zehn Jahren komplett neue Wertvorstellungen bilden und sich von Traditionen lösen? Gerade als Politiker, welcher eben diese Werte vertreten soll? Sicherlich nicht! Daher scheint das Ergebnis der Abstimmung durch CSU-Abgeordnete im Bundestag zur „Ehe für Alle“ keine Überraschung zu sein. Sie sind dagegen!
Meines Erachtens sind Liebende eine Familie. Es gibt keine Unterscheidungen zwischen den Geschlechtern, sobald es um Liebe geht. Das Wichtigste für ein Kind ist die Liebe, welche unumstritten unabhängig vom Geschlecht gegeben wird. Eine Ordnung im Leben kann jeder für sich selbst schaffen und Familienmodelle neu aufstellen. Ist es nicht langsam an der Zeit, gewisse Traditionen ruhen zu lassen und den Mut zum Fortschritt zu haben? Unsere Gesellschaft lebt von Impulsen, Ideen und Kreativität. Einschränkungen von Rechten und Freiheiten der Minderheiten durch den Gesetzgeber fördern keine Vielfalt und bedeuten keinen Gewinn für die Gesellschaft.
Wir wandeln uns stets, blicken Sie doch einmal in den Spiegel. Sie sind nicht die gleiche Person, wie vor zehn Jahren. Genauso wenig ist es unsere Gesellschaft oder die Auslegung von Liebe. Warum sollte sich die Politik nicht mitverändern? Sie muss es tun, um des Gemeinwohl Willens. Die „Ehe für Alle“ ist der erste Schritt, „ein Stück weit Normalität in unserem Land“, zu schaffen, so der Abgeordnete der Linken, Dietmar Bartsch.
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