Marathon für Bildung und Arbeit
Doping im Sport, an Schulen, Unis und in der Arbeitswelt: Macht jeder mit?
Wer Erfolg haben will, muss liefern. Nirgends ist dies so wichtig wie bei sportlichen Wettbewerben. Die olympischen Winterspiele in Südkorea sind das beste Beispiel. Der Leistungssport entwickelt sich mehr und mehr zum Leistungsdoping. Ob beim Kugelstoßen, Dressur-Reiten oder 100-Meter-Sprint – immer wieder tauchen positive Dopingtests auch im Nachhinein auf. Die Grenze zwischen kollektivem Dopingkonsum und ethisch korrektem Sportwettbewerb erscheint immer mehr zu verschwimmen. Doch woran liegt das?
Nur die Besten schaffen es am Ende, ihre Konkurrenten zu übertrumpfen. Mit Talent, Trainingseifer und Disziplin. Aber reicht das für eine Goldmedaille aus? Wer dopt, hat höhere Chancen auf den Sieg und verschafft sich einen Vorteil, den wir als unfair betrachten. Die Welt-Anti-Doping-Kommission hat 2015 einen Codes definiert. Darin steht: Der “wahre Wert wird häufig als „Sportsgeist“ bezeichnet. Er macht das Wesen des olympischen Gedankens aus: das Streben nach Spitzenleistungen durch die gezielte Perfektionierung der natürlichen Begabungen eines Menschen. Er entspricht unserem Verständnis von Fairness und ehrlicher sportlicher Gesinnung … Doping steht im grundlegenden Widerspruch zum Sportsgeist.”
Doch reichen Appelle, Verbote, Kontrollen und drastische Strafen aus, um Doping zu vermeiden? Schauen wir weg von den Spitzensportlern in Südkorea und blicken zu uns nach Deutschland in die Arbeitswelt. Auch hier ergibt sich ein immer tragischeres Bild. Um dem Arbeitsstress gerecht werden zu können, greifen immer mehr Menschen zu Muntermacherpillen. Laut einer DAK-Studie haben 2015 drei Millionen Arbeitnehmer leistungsfördernde Medikamente konsumiert. „Vor allem Beschäftigte mit einfachen Tätigkeiten oder unsicheren Jobs gehören zu den Risikogruppen für den Medikamentenmissbrauch“, berichtet die DAK.
Die beliebteste Droge wurde in keinem speziellen Forschungslabor entwickelt: Methylphenidat ist besser bekannt als Ritalin. Es beherrscht wie kaum ein anderes den Arbeitsmarkt. Ritalin wird im Normalfall Menschen mit AD(H)S verschrieben und wurde als „Zappelphilipp-Droge“ berühmt. Leidet man allerdings nicht unter AD(H)S, wirkt das Mittel leistungsfördernd. Man kann sich besser auf Aufgaben fokussieren, arbeitet effizienter und hat erfolgreiche Ergebnisse vorzuweisen. Ideal, um unter konkurrierenden Kollegen hervorzustechen. Das ist bei den Arbeitnehmern angekommen, was sich auch in den Zahlen auswirkt: Die verschriebene Menge von Ritalin in Deutschland lag 1993 bei 34 Kilo. 2011 waren es sage und schreibe 1,7 Tonnen! Ritalin überschwemmt die arbeitende Gesellschaft.
Ritalin soll eigentlich bei Kindern wirken. Wer nicht normal auf dem Stuhl sitzen kann und in der Schule stört, wird schnell zum AD(H)S-Patienten. Laut dem deutschen Neurobilogen Prof. Gerald Hüther geschieht diese Trenddiagnose aus reiner Bequemlichkeit: „Die Eltern sind froh, dass es ein angeblich genetisches Defizit ist und dass sie das mit einer einfachen Pille heilen können. Die Lehrer sind froh, da sie nicht dafür verantwortlich sind und die Pharmaindustrie ist froh, da sie damit so viel Geld verdient“.
Laut einer Studie des BARMER GEK Arztreports gab es zwischen 2006 und 2011 einen Anstieg von fast 50 % der diagnostizierten ADHS-Betroffenen. Heutzutage machen Kinder fast 80 % aller AD(H)S-Diagnosen aus. Somit speist man Kinder im frühen Alter bereits mit Drogen ab.
Diese Überflutung von Ritalin ist schon lange bekannt. Viele Schüler, aber auch Studenten, konsumieren Ritalin, um sich bei anstehenden Prüfungen besser zu konzentrieren. Der gefühlte Druck und die Anforderung an die Schüler und Studenten wächst. Zwar würde der Umfang des Lernstoffes und würden die unterrichteten Stunden „dramatisch sinken“, wie der Präsident des deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, der „Welt am Sonntag“ berichtet. Dennoch liegt der gefühlte Stress laut einer Umfrage der GfK sehr hoch. In Bayern glauben 61 %, dass der Leistungsdruck für Schüler zu hoch sei, in Baden-Württemberg sind es 56 %. Um diesem „subjektiven“ Stress entgegenzuwirken, konsumieren viele Schüler Ritalin.
Auch Arbeitnehmer benötigen einen Boost, um Endlos-Meetings oder ständig wechselnde Schichten zu überstehen. Es ist kein gesellschaftliches Randphänomen mehr, Doping wie Ritalin zu sich zu nehmen. Ritalin wird auf Schulhöfen wie Gummibärchen gehandelt und eingeworfen. Wie jede andere Droge macht auch Ritalin abhängig. Sie wird über die Niere abgebaut und kann während von Erbrechen bis zu psychotischen Zuständen und zu hoher Depressivität führen. Dabei wird davon ausgegangen, dass es langfristig wie Amphetamine wirkt, also ähnlich wie Crystal Meth.
Das größte Problem nennt sich „Neuro-Enhancement“, das die Situation in der Arbeitswelt beschreibt. Dabei sollen, ähnlich wie im Sportbereich, bewusstseinserweiternde Substanzen legalisiert werden, um ein höheres Leistungspensum zu ermöglichen. Forscher wie Henry Greely oder Julian Savulescu unterstützen den Plan der Legalisierung. Auch die Pharmaindustrie unterstützt das Neuro-Enhancement und begründet dies mit der Freiheit des Menschen, über sich selbst bestimmen zu können. Man schade ja immerhin niemandem – außer sich selbst.
Was wäre, wenn Ritalin in der breiten Bevölkerung alltäglich zur Leistungssteigerung verwendet würde? Wenn jeder Mensch bewusstseinserweiternde Substanzen nimmt, müsste man dann nicht noch stärkere Medikamente nehmen, um wieder in der Schule oder auf dem Arbeitsmarkt herausstechen zu können? Was wäre, wenn wir einheitsgedopte Wesen wären, die nichts mehr sehen, hören oder fühlen, sondern nur ihren nächsten Arbeitsschritt verfolgen. Immer weiter und weiter arbeiten, bis alle letztendlich zusammenbrechen? Weil wir keine Grenzen für uns selbst mehr kennen. Wäre dies ein wünschenswertes Ziel? Oder sollten wir uns nicht lieber Gedanken machen, Lernen und Arbeiten in andere Richtungen zu lenken und zu reformieren, in Richtung eines humaneren Schul- bzw. Arbeitsverhältnisses? Alles andere würde auf längere Sicht dramatische Folgen haben.