Rastatt – die Schöne und das Biest
Spurensuche in unserer Stadt: Gibt es so was wie Heimatliebe?
Ich mag Rastatt, wirklich. Diese Stadt gibt mir viel: Ich kann neben einem Barockschloss zur Schule gehen, den Luxus eines Jugendtheaters genießen und beim Straßentheaterfestival tête-à-tête im bunten Wirrwarr versinken. Ich bin hier nicht geboren, lebe aber seit 2008 mit meiner Familie hier. Der städtische Bolzplatz vor unserer Haustür sorgte dafür, dass ich innerhalb einer halben Stunde neue Freunde fand. Sie sind bis heute geblieben. Was ist also meine Beziehung zu Rastatt? Geprägt durch Menschen, historische Gebäude oder Events? Ich gehe auf Spurensuche.
Was fällt mir ein, wenn ich an eine Beziehung zu meinem Land, zu meiner Stadt denke? Ist das Heimatliebe? Ich gebe zu, das Konzept des Patriotismus habe ich nie ganz verstanden. Eine Stadt oder ein Land so sehr zu lieben, dass daraus Stolz resultiert, ist mir fremd. Klar, auf seine eigenen Taten kann man stolz sein. Aber kollektiver Stolz, kollektive Liebe zu einer Sache, das ist mir schon fast unheimlich. Hat nicht jeder ein ganz anderes Bild von Rastatt? Oder gibt es Gemeinsamkeiten, die „uns Rastatter“ zusammenschweißen?
Um das herauszufinden, stelle ich mich auf den Rastatter Marktplatz. Ein ganz normaler Wochentag im November. Mit einem Block in der Hand, den ich zuvor aus dem direkt daran liegenden Schreibwarengeschäft gekauft habe. Praktisch, erster Pluspunkt für Rastatt. Ich spreche wahllos fremde Menschen an, möchte mit ihnen über ihre Beziehung zur Stadt sprechen. So erhoffe ich mir, hinter das Geheimnis des „Lokal-Patriotismus“ zu kommen. Doch das erste, was ich wahrnehme, ist nicht kollektive Heimatliebe, sondern kollektive Unfreundlichkeit. Vielleicht liegt es am Montag, vielleicht am ekligen Nieselregen. Vielleicht aber auch an Rastatt selbst. Zunächst bleibt niemand stehen und will mit mir reden.
Schließlich komme ich mit einigen Passanten ins Gespräch. Interessanterweise führe ich die ergiebigsten Unterhaltungen mit einer 73-jährigen Dame und einem 11-jährigen Jungen. Die Erste ist Inge John, 73 Jahre alt. Ich treffe sie direkt vor dem Gebäude der BNN. Sie beschreibt Rastatt als „doch ganz gemütlich“, sie störe nur das nicht enden wollende Bauen in der Innenstadt. Die Geschäfte würden doch darunter leiden, bemängelt die aus Niederbühl stammende Rentnerin. Auf meine Frage, was sie persönlich an der Stadt als verbesserungswürdig erachtet, antwortet Frau John schnell: „Mehr Geschäfte wären nicht schlecht. Mir fehlt ein guter Haushaltswarenladen.“ Ich frage sie nach ihrer Beziehung zu Rastatt. Sie hält kurz inne: „Die Ansätze stimmen.“ Besonders das Stadtbild gefällt ihr. Nach inniger Liebe hört sich das nicht an, aber ich verstehe Frau Johns Ansicht. Als ich mich verabschiede, fragt sie noch einmal nach meinem Namen. Sie kenne mich doch über meinen Vater, sagt sie lachend. Lustig, denke ich, Rastatt kann manchmal so klein sein.
Ich gehe weiter und spreche jüngere Leute an. Der elfjährige Tarik Mutlu ist bereit, mit mir zu reden. Auf die Frage, was er hier besonders möge, antwortet er: „Die Stadt selbst! Hier ist es echt schön.“. Er fühle sich wohl in Rastatt, auch wenn es Gegenden gäbe, in denen er sich manchmal unsicher sei. Was er noch verbessern würde? Mehr Fußballplätze! Der Junge ist mir sympathisch.
Ich suche weiter und kontaktiere zwei Jugendgruppierungen, die lokale Schülerverbindung P.V. Markomannia 1824 zu Rastatt und den Verein für Kunst, Kultur und Musik Art Canrobert. Die einen eher konservativ orientiert, die anderen klar links einzuordnen. Beide sprechen junge Menschen in Rastatt an – ganz unterschiedlich.
Ich erhoffe mir von der Markomannia eine Begründung, warum Patriotismus eine Rolle in unserer Gesellschaft spielen sollte. Auf meine Nachricht auf Facebook bekomme ich eine schnelle Antwort und schreibe mit dem gesichtslosen Administrator der Seite. „Coole Idee!“ lässt er verlauten. Eine Beziehung zu Rastatt gebe es ganz klar: „Weißt du, die Markomannia gibt es schon seit über 193 Jahren. Wir wurden im April 1824 gegründet. Natürlich gehören wir zu Rastatt, so wie zum Beispiel Schalke zu Gelsenkirchen. Das ist eben unsere Heimatstadt.“ Volltreffer – denke ich. Doch dann werde ich weitergereicht und bekomme einen Dämpfer: Die Verbindung sei laut Satzung „politisch neutral“, also könne jedes der Mitglieder seine eigene Haltung zum Patriotismus haben. Dementsprechend sei man nicht interessiert an einem Interview. Und das, obwohl ich auf der vereinseigenen Facebook-Seite einen Link zu einem Imagefilm der Stadt Rastatt finde. Versehen mit dem Kommentar: „<3 Rastatt <3“. Genau die Art von „Liebe“, die ich suche, sogar mit einem Herzchen verdeutlicht. Ich werde den Gedanken nicht los, dass man sich vor einer Diskussion wegduckt. Steht man doch nicht zu Rastatt? Was befürchten die Mitglieder? Fragen ohne Antworten.
Einfacher läuft die Kontaktaufnahme mit dem Art Canrobert. Ich komme an die Nummer von Philipp Erben, dem Ersten Vorsitzenden. Er gibt mir glasklare Antworten. „Rastatt kann ich nicht lieben, weil es zu viel gibt, was ich nicht lieben kann.“ Das ist hart, aber ehrlich. Auf meine Frage, ob man auch ohne Heimatverbundenheit irgendwo zuhause sein könnte, antwortet Philipp Erben nüchtern: „Zuhause bist du, wo du lange lebst und leben willst.“ Mehr nicht. Schnörkellos.
Plötzlich stellt sich mir die Frage, ob es überhaupt mehr geben muss. Eine innigere Beziehung zu etwas so Abstraktem wie einer Stadt? Heimat in Stadtgrenzen einzuengen, klingt naiv. Laut Philipp ist Patriotismus „Unfug“, man könne sich doch aussuchen, wo man wohnt, aber eben nicht aussuchen, wo man geboren ist. Dieser Stolz sei somit reine Willkür. Das klingt für mich logisch. Doch was ziehe ich selbst für Schlüsse daraus? Ist Rastatt für mich nur ein Ort, in dem ich mich zwangsläufig oft aufhalte? Rein rational, ohne Gefühl. Nein. Ich lebe gerne hier.
Diese Stadt ist die Schöne und das Biest in einem. Die Schöne, weil sie mich manchmal in ihren Bann ziehen kann. Ein Sonnenuntergang über dem Schloss hat etwas ganz Besonderes an sich. Doch reichen mir solche Momente nicht aus, um von einer außerordentlichen Beziehung zu sprechen, ganz so märchenhaft ist es dann doch nicht.
Denn manchmal bist du ein Biest, Rastatt. Manchmal kann ich dich nicht ausstehen und möchte dich so schnell wie möglich verlassen. Und doch gehören wir irgendwie zusammen. Und du bist einen Versuch wert. Denn du hast mir so viel zu bieten. Und nicht nur mir. Rastatt bedeutet auch: Möglichkeiten. Und so kommt selbst Philipp zu einem ganz versöhnlichen Schluss: „Meine Beziehung zu Rastatt ist gut. Ich arbeite daran.“ Eine Einstellung, der ich nur zustimmen kann. Man muss diese Stadt nicht lieben, um eine Beziehung zu ihr zu haben. Manchmal reicht es schon, das Biest zu ertragen, um die Schöne wieder genießen zu können. Arbeiten wir daran.
Foto: Fynn Flackus