Lieber Papa, lieber Tata!
Keine Liebeserklärung an den getrennt lebenden Vater
Lange ist es her, dass wir uns das letzte Mal gesehen und gesprochen haben. Warum ich dir jetzt schreibe? In den vergangenen Jahren hatte ich viel Zeit, mir Gedanken über unser Verhältnis zu machen. Nach langem Überlegen bin ich zu dem Schluss gekommen, dich an meinen Gedanken und Wünschen teilhaben zu lassen.
Ich möchte gleich mit meinem größten Wunsch beginnen. Ich wünsche mir so sehr, dass ich von dir ein Lob bekomme. Für irgendetwas, sei es für Fortschritte beim gemeinsamen Mountainbike fahren, für eine Steigerung in der Schule oder auch nur dafür, dass ich mir bei meinem neuen Hobby Mühe gebe. Auch wenn die Resultate noch sehr holperig sind. Ich erinnere mich an das eine Mal, als ich dich beim Schwimmen überholt habe. Du hast allen erzählt, wie gut ich schwimme – sogar besser als du. Das war einer der schönsten Momente in meinem Leben. Schade nur, dass es die große Ausnahme war. Wer weiß, vielleicht wäre es mir leichter gefallen, alles andere zu ertragen, hätte ich diese Bestätigung öfter bekommen.
Aber Lob und Bestätigung von dir waren immer nur ein großer Wunsch von mir. Im Gegenteil: Du hast immer etwas gefunden, was ich noch hätte besser machen können. Und wenn es nicht bei mir war, dann war es ziemlich sicher bei einem meiner Freunde, die ich so selten zu dir mitgebracht habe. Auch bei ihnen hattest du immer was auszusetzen. Ich habe mir so gewünscht, dass ich dich mit der Wahl meiner Freunde hätte zufrieden stellen können. Doch leider war mir auch das nicht möglich. Im Nachhinein lässt mich die Frage nicht los, warum deine strengen Kriterien auch sie betrafen? War es wirklich so schlimm, dass dich einer meiner Freunde nicht auf der Straße gegrüßt hat? Hat dich das wirklich so sehr verletzt? Dass du ihm verboten hast, deine Wohnung noch einmal zu betreten.
Aber selbst bei meinen Freunden warst du nicht so kritisch wie bei den Mädchen, von denen du dachtest, ich würde sie lieben. Weißt du, von wem und was ich spreche? Erinnerst du dich noch an die eine, bei der du sagtest, sie würde meine Zeit verschwenden? Oder an die, von der du meintest, dass ihre beste Freundin doch deutlich besser aussehe und geeigneter für mich sei…
Ja, ich weiß, dass es sich so anhört, als könnte ich mich nur an das Schlimme mit dir erinnern. Doch ich kann dir versichern, das ist nicht so. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir beide es zum ersten Mal mit den Mountainbikes auf die Hornisgrinde geschafft haben und zusammen ins Rheintal geschaut haben. Auch an die Eule, die du mir bei Ruhestein aus einem Rindenstück geschnitzt hast. Sie steht immer noch in meinem Zimmer. Vielleicht weißt du es noch, wenn du dieses Bild siehst.
Vielleicht hast du die Sachen, durch die es mir so schlecht ging, nur gemacht, weil du mich geliebt hast und dachtest, dass ich durch deine Art zu einem selbstsicheren jungen Mann werde. Ehrlich gesagt hat das auch geklappt. Allerdings werde ich trotzdem eine Frage nicht los: Bist du wirklich der Meinung, dass dies der einzige Weg ist?
Mit freundlichen Grüßen
Dein Sohn Ian-Titus