Liebe Schüler!
Brief an Jugendliche: Die Schulzeit ist mehr als Lernen für Noten

Schule ist Mist! Schule ist überbewertet! In der Schule lerne ich nichts fürs Leben! Wer so denkt, braucht eine Alternative! Zugegeben, ich selbst war eine schlechte Schülerin, habe das schlechteste Abitur meines Jahrgangs gemacht. Für ein Studium mit NC war ich nicht qualifiziert. Mein Leben fand in der Parallelwelt zum Lernen statt. In der SMV, bei unserer Schülerzeitung, in der Nachwuchsorganisation einer Partei, im parallelen Sozialen Jahr im Altenheim, im Jugendbereich der Kirche, beim Handballverein, in der Jugendgruppe „gag“ und beim Straßenkick mit Jungs… Allein das war mehr Fulltime-Job als der Schulbesuch. Ich war überall – nur nicht beim Pauken zuhause. So gesehen bin ich ein verdammt schlechtes Vorbild für euch.
Aber ich bin nicht gescheitert. Vielleicht weil die Zeiten damals anders und noch nicht so notenfixiert und leistungsgeprägt waren. Und weil ich verständnisvolle Eltern hatte, die mich auf ihre Art forderten und förderten. Ich habe früh angefangen zu arbeiten. Unkraut zupfen habe ich für die Nachbarschaft schon mit 8 Jahren angeboten, später kam Zeitungaustragen dazu, ab 14 durfte ich meine Dienste über das Arbeitsamt anbieten und wurde Babysitterin. In der Schule hatte ich mit zwei Klassenkameraden einen Bäcker-Dienst in der Großen Pause: „Krössgeimer & Clo KG“. Kreativ waren wir, mit ersten betriebswirtschaftlichen Anfängen in der Pubertät. Skeptisch von Lehrern beäugt, oft zum Direktor einbestellt. Ach, ist das lange her.
Was ich euch sagen will (neben den nostalgischen Ausschweifungen)? Ihr müsst lernen – aber nicht nur! Ich habe als Ausbilderin und Arbeitgeberin immer darauf geachtet, welche Zusatzqualifikationen junge Bewerber aufbieten. Ich liebe junge Menschen, die Zeitungen austragen (zeugt von Disziplin!), die in der Gastronomie jobben (Dienstleistungsverständnis!), die eine Jugendgruppe leiten (Teamfähigkeit!). Macht was! Engagiert euch! Das ist wirkliches Lernen fürs Leben!
Ich weiß, dass viele von euch einen straffen Stundenplan haben (erst recht in G8). Macht euch einen Plan. Schreibt auf, wie ein typischer 24-Stunden-Tag von euch in der Woche aussieht. Für was braucht ihr unbedingt Zeit: Schlafen, Essen, Bad, Schule, Zeit mit Familie usw. In der Regel kommen pro Tag zwischen 2 und 4 Stunden freie Zeit heraus. Was ist euch wichtig? Training? Chatten? E-Spiele? Zusätzliches Lernen? Und auf was könntet ihr verzichten? Lebt nicht in den Tag hinein. Aber verplant auch nicht alles. Habt genug Zeit für euch selbst! Und für den Umgang mit anderen.
Ich weiß nicht, ob ihr ein Vorbild habt. Bei dem ihr sagen könnt: „Was der oder die macht, ist toll. So möchte ich auch werden.“ Leider zeigen viele Erwachsene, dass sie nicht zum Vorbild taugen. Wir bekommen das in den Medien mit: Wenn Berühmtheiten durch Skandale auffallen. Was tun? Nehmt euch kein schlechtes Beispiel. Höchstens zur Abschreckung: „So will ich nicht werden!“ Sondern: Werdet selbst zum Vorbild! Besprecht im Freundeskreis und in der Schule, was euch wichtig ist. Wie ihr sein wollt. Was ihr für andere tun könnt. Unsere Gesellschaft braucht dringend neue Typen, die keine verantwortungslosen Egoisten sind. Aus eurer Generation kommt eine neue Präsidentin oder ein neuer Bundeskanzler. Eine neue Konzern-Chefin oder ein neuer Nobelpreisträger. Oder ein verantwortungsvoller Familienvater oder eine ambitionierte Lehrkraft. Oder oder oder. Ihr habt es in der Hand, in eurem Kopf und in eurem Herzen. Nur Nichtstun und eure Zeit vertrödeln, euch nichts zutrauen – das wäre die schlechteste Alternative.