Liebe Erde!
Fragen, Wünsche und Lob an den Planeten, auf dem wir leben

Ich heiße Sandra, bin 17 Jahre alt und wohne auf dir, auf deiner Nordhälfte, in Deutschland. Ich bin eine von den Milliarden Menschen, die täglich auf dir laufen, Fahrrad fahren, Sport machen, Auto fahren, lernen, arbeiten, essen, schlafen.
Ich schreibe dir, weil ich so gerne mehr von dir wissen möchte. Wir wohnen zwar seit Tausenden von Jahren auf dir, aber ich glaube, wir haben verlernt, dich wirklich zu verstehen. Du bist unser Zuhause, dennoch kennen wir dich nicht vollkommen. Wir wissen vieles über dich. Wir wissen, wann du geboren wurdest und wie, nur deine Eltern kennen wir leider nicht. Könntest du uns darüber Auskunft geben? Das würde einige Physiker überaus glücklich machen. Wir wissen, wie dein innerster Kern aussieht, und dass er heiß und flüssig ist. Dass sich deine Platten verschieben und Erdbeben und Gebirge erschaffen. Dass deine Meere sich entsprechend den Gezeiten, vom Mond gesteuert, bewegen.
Die meisten Lebewesen auf deiner Oberfläche haben wir bereits erforscht. Wir wollen dir mit unserer Forschung wirklich nicht zu nahe treten, doch wir sind von Natur aus sehr neugierig und können einfach nicht anders. Gibt es noch andere Geheimnisse, die wir noch nicht entschlüsselt haben? Was sollten wir noch über dich wissen, um dich und uns selbst zu verstehen? Bitte gib mir die Antworten, die ich brauche, um alles zu begreifen.
Ich schreibe dir, weil ich wissen möchte, ob es einen Gott (oder etwas mit einem anderen Namen) gibt, der das alles steuert, dich und all die wundervollen Dinge auf dir erschaffen hat. Ich weiß, ich habe zuvor gesagt, wir wüssten, wie und wann du geboren bist – und wir sind uns dessen auch ziemlich sicher. Aber es gibt dennoch Menschen, die einen Gott verneinen. Wer könnte mir über deine Geburt besser Auskunft geben als du selbst? Hast du Eltern? Gibt es einen Gott? Gibt es andere übernatürliche Wesen, von denen wir nichts wissen?
Ich schreibe dir, weil ich dir sagen möchte, was für ein riesiges Wunder du bist. Dabei bezieht sich „riesig“ sowohl auf deine Größe als auch auf das Ausmaß deines wunderbar Seins.
Ich schreibe dir, weil ich wissen möchte, wie schlecht es dir geht. Wir behandeln dich nicht gut. Wir beschädigen und verletzen dich und trotzdem lebst du noch. Wir haben deine Meere verschmutzt und ein Pflaster des Schweigens darüber geklebt. Wir haben dich Großteile deiner Ressourcen beraubt und dir Schmerztabletten gegeben, damit du die Amputationen nicht bemerkst. In der Hoffnung, dass wir Ersatz finden, bevor du mit deinen Schätzen vollkommen erschöpft bist.
Wir haben deine Atomsphäre durchlöchert und Verbände des „Reden, aber irgendwie nichts verändern“ darum gewickelt. Wir haben deine Erdoberfläche mit Giftstoffen konterminiert und Salben zur Schmerzlinderung darauf gegeben, hoffend, dass du es nicht merkst und dein Boden trotzdem fruchtbar bleibt. Wir haben eine Vielzahl an Lebewesen, die auf dir lebten, ausgerottet und sind immer noch dabei. Das merkst du aber nicht, weil wir gleichzeitig selbst fleißig unsere Lebenserwartung erhöht und Kinder gebärt haben, wodurch der Bevölkerungsanstieg den Tierrückgang ausgeglichen hat. Deshalb bitte sei ehrlich und sag mir, wie schlecht es dir geht. Irgendwann reichen auch Pflaster und Salbe nicht mehr, um den Schmerz wirklich zu lindern. Wenn du uns Menschen deutlich machst, wie schlecht es dir geht, verstehen vielleicht endlich alle, dass sie etwas ändern müssen.
Ich schreibe dir, weil mir all das sehr Leid tut. Weil ich mich gleichzeitig bei dir bedanken möchte. Danke für die Sonnenaufgänge und -untergänge, für die Wellen zum Surfen, für die Wälder zum Wandern, die duftenden Blumen, den blauen Himmel, die weißen Wolken, den Schnee zum Schneemännerbauen, die Flüsse und Seen zum Schwimmen, die endlosen Wiesen, die wundersamen Tiere, die Bäume zum Klettern, die Gebirge und Täler, die Meere, das Öl, deinen fruchtbaren Boden, das Feuer, das Eis, unsere Nahrung, für dein selbstloses für uns Dasein.
Ich schreibe dir, weil ich nicht weiß, wie ich dir das alles sonst sagen soll. Ich hoffe, du verstehst und schickst mir bald eine Antwort.
Liebe Grüße und gute Besserung
Dein Mensch Sandra
Foto: Sandra Overlack