Kommt das Abitur light?
Wieder eine Bildungsreform in Baden-Württemberg
Die grün-schwarze Landesregierung von Baden-Württemberg beschließt eine Bildungsreform der Oberstufe: Ab 2021 soll es statt der vier schriftlichen und einer mündlichen Prüfung, drei schriftliche und zwei mündliche Prüfungen geben. Auch das bisherige Schema der Leistungsfächer wird geändert. Vier vierstündige Fächer werden durch drei fünfstündige Fächer ersetzt. Zwei davon sollen entweder Mathe (M), Deutsch (D), eine Naturwissenschaft oder eine Fremdsprache sein. Das dritte ist frei, also auch Sport oder Bildende Kunst sind möglich. Jedes Leistungsfach, das nicht als solches gewählt wurde, wird dreistündig unterrichtet, die restlichen Fächer zweistündig.
Warum das Ganze? Bereits ab 2019 sollen bundesweit nur noch zwei bis vier Fächer auf Leistungsniveau unterrichtet werden. Da es in Baden-Württemberg zurzeit fünf sind, musste die Landesregierung eine Reform planen. Außerdem sollen die Spitzenbegabungen des Individuums verstärkt unterstützt werden.
Aber warum dann gleich um zwei Fächer auf drei verkürzen, wenn auch vier Fächer möglich sind? Meine Vermutung: Je mehr Schüler keine Prüfungen mehr in ihren Problemfächern absolvieren müssen, desto besser wird ihr Abitur und der Landesschnitt. Baden-Württemberg gehört nicht mehr zur bundesweiten Bildungselite. Das kann man natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Wenn die Schüler zu schlecht (= zu blöd) sind, dann macht man das Abitur einfacher.
Das Gute an der Reform ist, dass jeder Abiturient tatsächlich Abitur in seinen Spitzenfächern machen kann. Nehmen wir an, ein Schüler ist sehr gut in Mathe, Biologie und Sport, hat dafür aber keine Sprachbegabung und damit schlechtere Noten in Deutsch und Spanisch, dann wählt er Deutsch und Spanisch als dreistündige Fächer und Mathe, Biologie und Sport als fünfstündige Fächer, in denen er auch die Abiturprüfungen absolvieren muss. Mir persönlich gefällt das Konzept sehr. Ich bin ein bisschen neidisch auf die kommenden Abiturjahrgänge. Denn mich betrifft es leider nicht mehr.
Die Reform klingt nach Abitur light. Nicht jeder von uns ist ein Einstein, aber trotzdem sollte man etwas über die Äquivalenz von Energie und Masse gehört haben und wenigstens versuchen, die Grundsätze der Physik zu verstehen. Im späteren Leben wird den Schülern auch nicht alles in den Schoß gelegt. Außerdem, wer immer nur das macht, was er schon kann, wird nie etwas Neues lernen.
Prompt stellt sich bei mir Spott ein: Wenn das neue Konzept 2019 startet, fordere ich ein Pflichtfach: Allgemeinbildung. Aber nein, dann wären wir ja schon bei vier Pflichtfächern – wie dumm. Ach, warum lösen wir das Problem nicht mit vier unterschiedlichen schriftlichen Prüfungsfächern und einem mündlichen. Die müssen dann ein gewisses Spektrum an Fächervielfalt abdecken. Schade, dass da noch niemand früher daran gedacht hat!
Zusammengefasst hat die Bildungsreform Vor- und Nachteile. Das Bildungssystem kann allerdings nicht immer einfacher werden, darf aber auch nicht die individuellen Begabungen außer Acht lassen. Ob sich das neue Konzept lange halten wird, werden wir schnell genug sehen. Ich befürchte, wir bekommen wieder eine Reform von der Reform von der Reform. Es gibt ja noch genügend Schülerjahrgänge, damit sich die Kultusministerien daran erproben können. Gibt es eigentlich eine weltweite Studie über Bildungspolitiker und ihre (Miss-)Erfolge?