Keine Vorbilder in Rastatt?
Vom Markgrafen bis zum Oberbürgermeister: Jugendliche orientieren sich
Bürger spucken Kaugummis auf die Straßen, lassen Verpackungen auf Grünflächen liegen, ignorieren rote Ampeln, telefonieren auf dem Rad am Handy, beleidigen sich in Sozialen Medien und im Verkehr. Das scheint normal zu sein; immer mehr machen, was man nicht soll. Die Ausnahme wird zur Regel. Wir haben mal geschaut, wie das früher in Rastatt war. Viele Schulen, auf die wir gehen, sind nach berühmten Vorfahren benannt. Im besten Fall als Vorbilder für uns Schüler: Gustav Heinemann. Anne Frank. Carl Schurz. Tulla. Auch Augusta Sibylla und Ludwig Wilhelm. Die Markgräfin und der Markgraf aus dem 17. Jahrhundert wurden aus der Ferne von den Bürgern Rastatts verehrt. Im Vergleich dazu sind die Gemeindevertreter von heute uns Rastattern näher. Wir erleben sie hautnah auf Stadtfesten, beim Einkaufen oder könnten zu ihren Sprechstunden gehen. In Zeitungen wird über sie geschrieben, auf Facebook über sie geschimpft. Manchmal hören wir Gerüchte über Verfehlungen und bilden uns eine Meinung. Da ist es schwer, sie als untadelige Vorbilder zu sehen.
Aber was braucht ein Vorbild? Das Online-Lexikon Wikipedia schreibt: „Im engeren Sinne ist Vorbild eine Person, mit der ein – meist junger – Mensch sich identifiziert und dessen Verhaltensmuster er nachahmt oder nachzuahmen versucht.“ Wer kommt dafür heute in Frage? Politiker? Unternehmer? Sportler? Pfarrer? Lehrer? Wenn wir unsere Mitschüler fragen: Wer ist dein Vorbild?, zucken viele mit den Schultern. Zu Vorbildern sollte man aufschauen. Ihnen Respekt, auch Bewunderung entgegen bringen. Fällt uns dazu ein Rastatter ein? Früher waren das die so genannten Autoritäten. Mit denen haben wir heute Probleme, auch weil sich keiner immer untadelig zeigt. Allein durch eine Position ist heute keiner mehr automatisch ein Vorbild. Oder anders gesagt: Jeder kann zum Vorbild werden.
Rastatt hat rund 50.000 Einwohner. Es zählt nicht die kleine Menge der prominenten Bürger, sondern es zählen alle. Viele Rastatter engagieren sich ehrenamtlich in Vereinen und Kirchen. Sie bleiben bei “Rot” stehen, halten für Fußgänger am Zebrastreifen, rasen nicht auf Motorrädern oder in getunten Autos, verlieren keinen Führerschein wegen Trunkenheit oder baggern Frauen nicht schamlos an. Erwachsene müssen Vorbilder für Jugendliche sein und durch eigenes Verhalten zeigen, was richtig und was falsch ist. Wenn wir Jugendlichen durch Rastatt gehen oder fahren, sehen wir oft, wie es nicht sein sollte. An Schulen rasen Erwachsene in ihren Autos vorbei. Auf dem Rohrer Steg schießen Radfahrer an Kindergartengruppen entlang. An Parks und im Wald liegen kaputte Autoreifen und ausrangierte Sessel. Aber wegen Jugendlichen an der Pagodenburg werden neue Ordnungshüter eingestellt.
Der Gang durch Rastatt öffnet die Augen. Wir haben viele Wege, die nach besonderen Menschen benannt wurden. Einen möchten wir herausgreifen und sind auf Karl Geiges gestoßen, geboren 1909 in Rastatt, gestorben 1988 in Karlsruhe. Er war ein deutscher Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus und nach dem Krieg erst kommissarischer Bürgermeister und später Erster Beigeordneter in Rastatt. Er hatte sich gegen die Nationalsozialisten gestellt und Menschen geholfen, über den Rhein nach Frankreich zu fliehen. Geiges ist ein Vorbild für Zivilcourage. Nach ihm wurde bei uns eine Straße benannt. Er war ein ganz besonderer Held. Aber das muss gar nicht sein. Wir brauchen mehr Helden des Alltags als Vorbilder für uns. Damit das Richtige wieder zum normalen Maßstab wird. Und ihr Teenager: Es gibt so viele Möglichkeiten hier in Rastatt. Helft beim DRK, geht mit Hunden aus dem Tierheim Gassi, spielt Volleyball oder werdet Bildungspaten. Es gibt noch mehr Möglichkeiten. Nutzt sie! Es macht mehr Spaß, als jeden Tag „Pagodenburg zu gehen“. Ihr Erwachsenen könnt uns dazu anleiten, begeistern, vorleben, wie es in Rastatt am besten geht.