Ist das Abitur noch ein Reifezeugnis?
Die Wahl der Qual zwischen G8 und G9
Leistungsdruck. Viele Menschen kennen ihn. Fast alle verachten ihn. Wir sollen immer funktionieren, das Beste aus uns herausholen und eine optimale Leistung an den Tag legen. So gehört der Leistungsdruck in vielen Branchen und Berufen zum Alltag. Ausgelöst durch Schnelllebigkeit und Leistungsdruck, körperlich wie seelisch. Das kann kaputt machen. Einige wenige brauchen den Druck, um bei einer hohen Belastung besonders leistungsbereit zu sein.
Das kann bereits im frühen Kindesalter beginnen. Zum Beispiel durch Leistungssport oder Wettbewerbe beim Spielen von Instrumenten. Vor allem wenn man von den Eltern verpflichtet wird, bestimmte Anforderungen zu erfüllen. Sei es in der Schule, zuhause, oder ob man von der Gesellschaft und dem System sich dazu genötigt sieht, möglichst effizient zu sein. Für tolle Noten, ein super Abitur, einen erfolgreichen Studienabschluss oder einen perfekten Job innerhalb der noch perfekteren Karriere. Egal wo, egal wie, egal wann – überall wird man unter Druck gesetzt.
Immer muss geleistet und funktioniert werden. Alles in unserer Leistungsgesellschaft ist ausgerichtet für eine positive Wirtschaftsbilanz. Den Anfang setzt die Schulauswahl, vielleicht schon früher mit der Kita, die ein Kleinkind perfekt auf das Leben vorbereiten soll. Sind alle Hürden gemeistert, fällt die Entscheidung: G8 oder G9? Achtjähriges Gymnasium (G8) bedeutet Abitur nach der 12. Jahrgangsstufe. Die Schulzeit wird von dreizehn auf zwölf Jahre reduziert.
G8 ist eine der umstrittensten Bildungsreformen der heutigen Zeit. Der Lernstoff wird verdichtet. Ein Jahr weniger, beim gleichen Inhalt. Viele Schüler, Eltern und Lehrer sind skeptisch, da sie befürchten, dass die Freizeitgestaltung der Schüler/innen eingeschränkt werden könnte. Viele jüngere Schüler haben mit regelmäßigem Nachmittagsunterricht zu kämpfen. Überdies haben viele Schüler in der Qualifikationsphase eine Mindestanzahl von 34 bis 36 Stunden in der Woche. Ohne weiteres Lernen. 31 Stunden in der Woche wären dies beim neunjährigen Abitur.
Ich habe mich umgehört und mit Schülern gesprochen, die G8 machen. Die meisten zwischen 16 und 19 Jahren haben weniger Zeit für ihre Hobbys, für Familie und Freunde. Die Mehrheit ist der Meinung, dass G8 ihr Sozialleben wesentlich beeinträchtigt. Die meisten von mir befragten Schüler sind unzufrieden mit G8 und verlangen nach G9.
Wusstet ihr: Das neunjährige Gymnasium wurde schon in der Weimarer Republik eingeführt. Während des Nationalsozialismus’ wurde das Schulsystem auf ein achtjähriges Gymnasium verkürzt, um die deutsche Wehrmacht aufzurüsten. Da dies als ziemlich wirkungsvoll angesehen wurde, behielt man dieses Bildungssystem auch in der DDR bei. Dagegen kehrte die Bundesrepublik Deutschland 1951 zum neunjährigen Gymnasium zurück. Zwischen den Jahren 2007 und 2015 wurde das achtjährige Gymnasium in fast allen Bundesländern wieder eingeführt. Jedoch wollen nun wieder viele zum neunjährigen Gymnasium zurückkehren oder haben den Wechsel bereits vollzogen. Ein Schritt nach vorne, ein Schritt zurück. Wieder eine sehr drakonische Veränderung im Bildungssystem.
Da in anderen Ländern auch schon früh mit der Schule abgeschlossen wird, wollte die Bildungsreform einen internationalen Ausgleich schaffen. Damit Abiturienten/innen früher in den Arbeitsmarkt eintreten und möglichst früh Steuern und Sozialabgaben leisten. Also länger in die Sozialkassen einzahlen.
Doch wenn so viele unzufrieden mit G8 sind, warum ändert die Politik dann nichts? In Bayern beispielsweise, ließ die CDU nun verlauten, dass ab dem Herbst 2018 die Schulen zurück zum neunjährigen Abitur geführt werden sollen. Die CSU begründet diesen Umschwung damit, dass durch ein zusätzliches Jahr, aktuelle und für die Zukunft wertvolle Themenbereiche, wie Informatik und die Wertebildung der Schüler mehr gefördert werden können. Zieht das Kultusministerium Baden-Württembergs nach? Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) erklärte, dass solche Aspekte schon im Baden-württembergischen Bildungsplan integriert seien und man eine erneute Reform somit nicht bräuchte. Sie gab unter anderem bekannt, dass es in Baden-Württemberg eine hohe Zufriedenheit mit G8 gäbe – so zumindest die Auskunft der Schulleitungen.
Zugunsten der Eltern und Schülern behauptet die CDU, dass es an den Schulen beide Möglichkeiten geben solle. Da einerseits das achtjährige Gymnasium den Schülern einen effizienteren und schnelleren Weg zum Abitur ermögliche. Andererseits das Gymnasium in neun Jahren Schüler auf dem Weg zum Abitur nicht so stark unter Druck setze. Die Priorisierung in der Auswahl des Lernstoffes könne besser und effizienter angelegt werden. Es wird gefordert, dass diese Wahlmöglichkeit den Schülern bereits in den Klassen 5, 6 und 7 gegeben wird.
Noch ein Aspekt, der gegen G8 spricht: Wenn die Abiturienten immer früher zum Studium kommen, sind sie eher noch Jugendliche als junge Erwachsene. Von wegen Abitur als Reifezeugnis. Und wie wirkt sich die Leistungsverdichtung auf die Notenleistung aus? Bei vielen ist Nachhilfe erforderlich. Viele Eltern können sich dies nicht leisten. Das verstärkt den Leistungsdruck, den ich als größte negative Säule des achtjährigen Gymnasiums ansehe. Viele G8-Schüler klagen über Kopfschmerzen und Schlafstörungen, über Ruhelosigkeit und gar Depressionen. Manche greifen zu Alkohol und Drogen. Meiner Meinung nach darf Schule kein Ort von Stress und Leid sein! Schule sollte vielmehr motivieren, zu lernen sowie Leistung zu erbringen und einen in seinen individuellen Fähigkeiten stärken und fördern!