„Ich lese, ich informiere mich. Ich wähle!“
Warum sollten wir wählen gehen? Analyse und Aufruf zur Beteiligung
Wir sind die Generation der Hobbylosen und Bequemen. Wir sind die Digital Natives. Schneller, freier – desinteressierter. Wir, die Jugendlichen, geboren rund um das Jahr 2000, genannt die Generation Z. Aufgewachsen mit Internet, MP3-Player und Smartphones. Wir leben im Wohlstand, in einer funktionierenden Demokratie und einer allseits verfügbaren Technikwelt. Wir halten alles für selbstverständlich. Wofür kämpfen? Wofür sich einsetzen? Was ist schon Politik? Und warum sollten wir wählen gehen? Eine Erwiderung auf und für meine Altersgenossen. Zum Lesen für Alle!
Politikverdrossenheit. Der Zustand lässt schaudern. Viele Menschen, gerade jüngere, verlieren den Bezug zu ihren Regierungen und Parlamenten. Wer und was ist schuld, wer bekommt den Schwarzen Peter? Es ist Wahlkampf! Die Zeitungen sind voller Umfragen und Statistiken. Fernsehsender zeigen das tägliche Hin und Her der Spitzenkandidaten. Die Regierung wird zur „lame duck“. Die Opposition verteufelt die letzten Jahre. Plötzlich schauen alle wieder nach Berlin. Wirklich alle? Die Wahlbeteiligung steigt zwar in den letzten Jahren wieder leicht. Doch bei der Umfrage „Generation What?“ wurde festgestellt, dass Jugendliche in ganz Europa die Lust an Politik verlieren. Nicht zum ersten Mal. „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf“, war schon die Parole in den Sechziger Jahren. Hat die Gesellschaft das vergessen? Konnte sie ihren Kindern nicht beibringen, welcher Kampf für die Freiheit geführt werden muss? Jeden Tag! Überall!
Trump, Le Pen, AfD und andere Populisten sollten uns zeigen, dass Demokratie und Fakten keine autonomen Konstrukte sind, kein Perpetuum mobile der Gesellschaft. Es hat viele Kriege, Revolutionen, Blut, Tränen und Köpfe gekostet, bis wir so ein freies und selbstbestimmtes Leben führen konnten, wie wir es heute tun. Hat die Jugend das nicht begriffen?
Tatsächlich ist die junge Generation wohl gar nicht so unpolitisch. Der Shell-Studie zufolge sieht sie sich zu großen Teilen als politisch interessiert. Diese Studie untersucht seit vielen Jahren Ansichten und Verhalten von Jugendlichen mittels Umfragen. 1991 soll das Interesse an Politik mit 57 % einen Höhepunkt erreicht haben. Bis 2002 sank es kontinuierlich auf fast 34 %. Nun scheint es wieder zu steigen. 46 % der Jugendlichen gaben an, politisch interessiert zu sein. Trotzdem zeigt sich das nicht in der Wahlbeteiligung. Gerade die Jüngeren waren seltener als Eltern und Großeltern an den Wahlurnen zu finden. Erst nach Abstimmungsergebnissen zog es auch Nichtwähler im Protest auf die Straßen, sogar in Massen! Fassungslos, was gewählt wurde und mit welchen Auswirkungen. Zu sehen nach dem Brexit oder auch nach der US-Wahl. Häufiges Argument: „Damit haben wir nicht gerechnet!“
Jugendliche glauben an Demokratie und ihre Werte. Jedoch fehlt es an Vertrauen. Gegenüber der Kirche, der Wirtschaft und den Parteien. In der Shell-Studie zeigt sich: Die Jugend vertraut zwar auf Europa, sie vertraut aber nicht der EU. Sie glaubt an die Demokratie, vertraut aber nicht ihren Vertretern. Vor allem Parteien spüren das seit Jahren. Das Durchschnittsalter von Parteimitgliedern beträgt – quer über alle politischen Strömungen hinweg – 60 Jahre, nur die Grünen liegen bei 50 Jahren. Die ehemalig großen Jugendorganisation schrumpfen.
Wir sind die Generation der Hobbylosen und Bequemen. Wir sind digital Natives. Schneller, freier – desinteressierter. Das politische Geschehen wirkt langwierig und erfolglos. Wer hier mitschuftet, sieht Erfolge erst Jahre später, wenn man denn welche verbuchen kann. Parteien erscheinen als undynamisch, macht-orientiert und wenig standhaft. Das meiste Vertrauen genießen NGOs: gemeinnützige Vereine und Umweltorganisationen. Soll ich zuallererst Kritik an den Parteien üben? Ihnen vorwerfen, sie würden sich um den Nachwuchs nicht genügend kümmern? Ich verfolge einen anderen Ansatz.
Die Zeiten haben sich schlichtweg geändert. Kinder wachsen im Wohlstand und einer funktionierenden Demokratie auf. Sie halten alles für selbstverständlich. Bis auf die Flüchtlingskrise, liegen die Konsequenzen unserer Probleme irgendwo in der fernen Zukunft. Sinkender Bedarf an Arbeitern in Zeiten der Digitalisierung. Die Frage nach einem tragbaren Konzept für ein Sozialsystem, in welchem immer mehr Bedürftige von immer weniger Arbeitnehmern gestützt werden sollen. Oder das Absterben der uns beherbergenden Natur. Die Konsequenzen liegen in unserer Zukunft, doch lösen können wir die Probleme nur heute. Natürlich ist jetzt auch nicht alles gut. Doch besteht nicht mehr der Zwang, politisch zu sein wie er beispielsweise im Kalten Krieg vorhanden war. Westintegration oder Neutralität und Gespräche mit der UdSSR? Klare Entscheidungen zwischen Positionen, die die Welt der nächsten Legislatur immens verändern. Die Politik sprang einem quasi ins Gesicht. Und heute? Die gleiche Frage steht immer noch im Raum und dort wird sie auch immer bleiben. Jeden Tag aufs Neue müssen wir uns, sie und ihr stellen.
Wir sind die Generation der Durchstarter. Wir können alles, wir müssen vorher nur kurz ein YouTube-Toutorial anschauen. Unter uns gibt es weniger Idealisten. Wir verschreiben uns nicht einer Idee. Statt einer Linie zu folgen, sammeln wir lieber Lösungen für einzelne Probleme, am besten direkt und mit sichtbarem Effekt. Gerade Studenten standen früher an vorderster Front, wenn es um ehrenamtliche Projekte geht. Das ist schön und gut. Doch die Zukunft lässt sich nicht auf die Schnelle mit der Geschwindigkeit des Internets gestalten. Ein Tweet kann die Welt verändern, doch ist die Welt komplexer, als es in zwei Zeilen auszudrücken wäre. Jeder muss sich fragen, was das große Ganze werden soll. Wir sind das Volk, und wir herrschen – zumindest, wenn wir nicht gerade auf Netflix an einer neuen Staffel festhängen.
Hier zeigt sich auch ein weiteres Problem unserer Politik: Man bekommt als Kevin-Normalverbraucher ja nichts mehr mit (Sorry Kevin!). Wir leben im Informationszeitalter. Doch gerade wichtige tägliche Nachrichten dringen nicht mehr durch. Zeitungen, Radio, Fernsehen – alles überholt, glauben Sie mir! Es kann nicht sein, dass die Politik Digitalisierung als Sachzwang ansieht, sich selbst aber davon ausschließt. Alle Öffentlich-Rechtlichen könnten problemlos auf Youtube zu finden sein, die Wahlprogramme ebenso. Einfach erklärt und transparent. Live Diskussionsrunden, die jedem offen stehen. Das wäre ein absolutes Höchstmaß an Demokratie.
Ich kann niemandem sagen, wie wir Ordnung bewahren, wenn wir zunehmend in einer digitalen Welt leben, deren Grundprinzip absolute Freiheit ist. Gesetze? Schwierig. Extreme machen bereits jetzt ordentlich Furore. Es bilden sich schnell Filterblasen, in denen sich alle gegenseitig bestätigen. Irgendwie müssen solche Vorgänge verhindert werden, dann kann die digitale Medienwelt tatsächlich verknüpfen und nicht weiter spalten. Wie das geschehen soll?
Ich kann leider keine Antworten aufzeigen, ich stelle die Frage! Denn das müssen wir zuerst klären. Ohne diese eine Frage und ihre Antwort versinken alle anderen Fragen im Altpapier. Die Demokratie mit den Nachrichten der Zukunft müssen anders sein: Vielleicht direkter, vielleicht transparenter, ich bin kein Experte. Noch steht es gut, doch wie gesagt: Die Probleme der Zukunft sind heute zu lösen.
Doch das alles ist nur eine von zwei Seiten: Demokratie muss immer stärker für sich werben. Auch der Demokratie müssen wir zurufen: Integriere dich im Alltag, in unser Leben! Auf dem Weg zu noch mehr Demokratie, aber auch zu mehr Verständnis. Mir macht die Entwicklung des Bruchs mit den in Deutschland gut funktionierenden medialen und demokratischen Strukturen in erster Linie Angst. Alles, was uns ausmacht, ist die Bereitschaft zum Wandel. Wir müssen Altes überdenken, vergessen oder bewahren.
Ich habe übrigens nicht umsonst mit der Kritik an meiner eigenen Generation angefangen. Kritische Blicke sind wichtig. Auf dem Bau weiß man schon lange: Wenn etwas nicht klappt, dann liegt es nur selten am Werkzeug. Selbst wenn ihr euch vorkommt wie bei der amerikanischen Comedyserie „South Park“, in welcher der Junge Stan gezwungen wird, sich zwischen einer Kotstulle und einem Rieseneinlauf zu entscheiden. Das ist kein Grund zur Resignation. Ihr seid nicht in Amerika. Schaut mal Nachrichten, so schlimm ist unsere Demokratie gar nicht. Doch wenn ihr sie nur lang genug ignoriert, dann wird sie es. Ich für meinen Teil will die Zukunft mitgestalten. Ich konsumiere reflektiert. Ich denke an Konsequenzen. Ich lese, ich informiere mich. Ich wähle!