Ich bin kein Rassist, aber …
Unser schneller erster Eindruck und die Bilder im Kopf
Es ist Samstagabend am Rastatter Bahnhof. Es nieselt und ist kalt. Die letzte Bahn für diesen Tag trifft gleich ein, fünf Minuten Verspätung. Ich höre Musik. Neben mir eine Gruppe von Flüchtlingen. Sie sind ca. Ende 20 bis Anfang 30. Sie lachen viel und schießen Selfies. Keine außergewöhnliche Situation. Als die Bahn ankommt, steige ich ein und setze mich in einen leeren Vierer. Links neben mir sind die Fahrradplätze. Dort setzt sich ein Mädchen hin, ungefähr so alt wie ich. Sie ist blond, trägt eine Winterjacke und einen Schal, hat ein hübsches Gesicht. Plötzlich setzt sich einer der Flüchtlinge neben sie.
Spätestens jetzt beginnt meine Kopfarbeit. Mit vielen Fragen. Ein deutsches Mädchen. Ein Flüchtling. Wie geht es weiter? Er beginnt mit ihr zu reden. Ich nehme einen Stöpsel aus dem Ohr und lausche dem Gespräch. In mir kommt ein komisches Gefühl auf. Über die Verspiegelung an meinem Fenster kann ich die Situation unbemerkt beobachten. Er redet auf sie ein. Erzählt davon, dass er nicht arbeiten könne. An seiner Hand sieht man eine Bandage. Ich verstehe sehr wenig, doch bringt er das Mädchen immer wieder zum Lachen. Er fragt sie, ob sie in Baden-Baden wohne. „Nein“, sie wohne in Bühl, antwortet sie und starrt auf ihr Handy, wie beinahe die ganze Zeit. Einer der anderen Flüchtlinge kommt dazu, sie unterhalten sich kurz und lachen. Das Mädchen lächelt viel, trotzdem merkt man ihr das Unwohlsein an. Ich beobachte die Szene weiter.
In Baden-Baden angekommen verabschiedet sich der Flüchtling von dem Mädchen und verlässt die Bahn. Die anderen Flüchtlinge bleiben noch eine Weile in der Tür stehen. Die Bahnführerin kommt raus und bittet sie in einem strengen Ton, die Bahn zu verlassen. Kurz darauf verschwinden sie. Dann ist die Situation vorüber.
Ich frage das Mädchen, über was der Flüchtling mit ihr geredet hat. „Keine Ahnung“ sagt sie. Es soll sich locker anhören. Er habe sie allerdings bereits am Bahnhof angesprochen und ihre Nummer gewollt. Die habe sie ihm aber nicht gegeben. „Der hat ganz schön einen sitzen gehabt“, stellt sie nüchtern fest. Flüchtlingen gegenüber sei sie positiv eingestellt. Es hört sich ehrlich an. „Man weiß aber nie“, weswegen sie ganz froh war, dass er in Baden-Baden ausgestiegen ist. In Bühl steigen wir beide aus und sie verabschiedet sich mit einem Lächeln.
Ich bin kein Rassist, aber…
Meine Oma meinte stets: „Alles vor dem „Aber“ ist gelogen“. Auch hier gilt dies. Hinter dieser Floskel verstecken sich unzählige Rassisten. „Ich bin kein Rassist, aber die Flüchtlinge wollen eh nur unser Geld“. Sprüche wie diese findet man massenhaft auf Sozialen Plattformen. Es gibt bereits eine eigene Facebookseite dafür. Während ich also in der Bahn sitze, schießt mir genau dieser Ausdruck in den Kopf. Ich beginne mich selbst zu fragen, ob mein Verhalten gerade angebracht ist. Mit halbem Ohr zuhören. Über die Verspiegelung die Situation beobachten. Hätte ich anders gehandelt, wenn dort kein Flüchtling sitzen würde? Hätte ich dann ganz normal weiter Musik gehört und mit Freunden gechattet? Bin ich gerade rassistisch?
Frauen begegnen solchen Männern ständig. Betrunkenen Männern, abends, in der Bahn nach Hause. Es gibt genug Stadtteile in Großstädten, in die man nachts nicht alleine fahren sollte. Besonders als Frau nicht. Diese Situation war und ist kein Einzelfall. Sondern Alltag. Wenn man betrunken ist, fällt die eigene Hemmschwelle. Manche werden dabei auch handgreiflich. War mein Zuhören und Abwarten die Reaktion auf das Wissen und meine Interpretation?
Ich bin kein Rassist.
Bei der gleichen Situation würde ich wieder so handeln. Ich würde darauf achten, dass dem Mädchen nichts geschieht. Völlig egal, welche Hautfarbe der Mann hätte. Welche Sprache er sprechen würde. Belästigung ist ein offenes Geheimnis. Erst durch Debatten wie bei #MeToo wird darüber gesprochen. Sonst nie. Man sollte immer die Augen offenhalten und niemals wegschauen.
Der Flüchtling war freundlich. Klar, er war betrunken, ebenso wie seine Freunde. Nichts, was man ihm verübeln könnte. Auch dass er ein hübsches Mädchen anspricht. Diese zeigte ihm allerdings kein Interesse, und er akzeptierte das. Er verabschiedete sich höflich und ging. Ich kenne ihn nicht, aber dafür respektiere ich ihn. Ich habe genug Bekannte in meiner Umgebung, die anders gehandelt hätten.
Ich bin kein Rassist.
Ich heiße Flüchtlinge willkommen. Ich bin gegen eine Mauer, Obergrenze oder sonst was. Ich habe bereits mit Flüchtlingskindern und -jugendlichen zusammengearbeitet. In meinem Freundschaftskreis sind sehr viele mit einem Migrationshintergrund. Trotzdem dachte ich rassistisch. Woran lag das?
An der Präsenz? Wenn etwas mit Flüchtlingen ist, hört man es sofort. Von überall. Wenn „nur“ ein Deutscher handgreiflich wird, passiert in der Regel nichts. Niemand redet darüber. Zumindest nicht so sehr wie bei Flüchtlingen. Das ist nicht fair gegenüber den Flüchtlingen. Das ist rassistisch.
Ich bin kein Rassist, aber die Omnipräsenz der schlechten Nachrichten über Flüchtlinge haben mich so reagieren lassen. Ich werde in Zukunft mehr darauf achten, differenzierter zu denken. Viele Menschen wollen, dass wir anfangen, schlecht zu denken. Sie interessieren sich nicht für positive Aspekte. Sie sehen nur das Negative und wollen, dass alle anderen ebenfalls nur das Negative sehen. Bei mir hatten sie Erfolg. Kurzzeitig. Doch ist mir klargeworden, dass das nicht richtig ist. Rassismus sollte wie ein langweiliges Schulfach sein. Zum rechten Ohr rein und zum linken wieder raus. Einfach nicht hinhören. Diese Welt kann dadurch angenehmer werden. Rassisten konzentrieren sich auf das Schlechte. Ich konzentriere mich darauf, das Gute zu sehen.
Ich bin kein Rassist. Aber die Gattung der Rassisten sollte ignoriert werden. Gänzlich.