Gleichberechtigt – (k)eine Selbstverständlichkeit
Kommentar: Vom Unverständnis für manche Ansichten
Als meine Urgroßmutter 1947 ein uneheliches Kind zur Welt brachte, war dies ein Skandal. Der Vater des Kindes war bereits verheiratet – was meine Urgroßmutter erst nach der Geburt ihres Kindes erfuhr. Ihre Familie rümpfte über diese Unsittlichkeit die Nase – und enterbte sie. Der Vater des Kindes jedoch blieb – wie so oft in solchen Fällen – unbehelligt.
Dass heute in unserer Gesellschaft alleinerziehende Mütter nicht mehr ausgegrenzt werden, haben wir jahrelangen Kämpfen der Gleichberechtigung zu verdanken. Was bedeutet es nun, wenn junge Menschen in Deutschland sagen, dass Frauen und Männer unterschiedliche Rechte und Pflichten haben? Wir waren zum Interview mit zwei Brüdern aus der Mevlana Moschee in Rastatt verabredet. Während des Gesprächs fielen Sätze wie: „Für mich sind Mann und Frau gleichberechtigt. Nur die Aufgaben sind anders.“ Und: „Man hat halt andere Rechte und Pflichten im Islam als Mann und Frau.“
Laut Duden bedeutet gleichberechtigt „mit gleichen Rechten ausgestattet; rechtlich gleichgestellt“ zu sein. Dies ist der direkte Gegensatz zu „anderen Pflichten“. Einer unserer Interviewpartner erklärte zuvor, er könne die Frage nach der Gleichberechtigung nicht theologisch beantworten. Er hätte nicht das nötige Wissen dazu. Auch ich kenne mich mit dem Islam nicht gut genug aus, um wirklich zu wissen, was der Koran zu dieser Sache sagt. Ich möchte auch nicht den Islam verurteilen.
Für mich ist das Thema jedoch ein völlig anderes: Ein junger Mann von 26 Jahren lebt in Deutschland und sagt, dass Frauen und Männer andere Aufgaben, Pflichten, Rechte haben. Er ist gebildet, hat studiert. Seine Frau profitiert von der Gleichberechtigung, denn sie studiert ebenfalls. Dieser Mann hat Potenzial. Er ist ein wichtiges Mitglied der Gesellschaft. Er wird die Zukunft unseres Landes mitgestalten.
Wie diese Zukunft bei seinen Ansichten aussehen wird, mag ich mir lieber nicht vorstellen. Ich frage mich, ob seine Frau möglicherweise andere Ansichten vertritt als er. Ich frage mich, ob seine zukünftige Tochter zum Beispiel KFZ-Mechatronikerin werden dürfte wie meine Cousine. Selbst bei ihrer Familie stieß dies zunächst auf Missfallen, doch sie konnte sich durchsetzen. Wird die Tochter eines Mannes mit solchen Ansichten dies auch können? Ich wünsche es mir. Für sie. Für unsere Gesellschaft.