Die Welt der YouTuber
Leicht produzierte Videos – mal stumpfsinnig, mal herzerwärmend
17,12 Millionen Mal wurde das Video „Everyday Saturday Parodie“ von Julien Bam 2016 geklickt. Das ist der Rekord für ein deutschsprachiges YouTube-Video im vergangenen Jahr. Zum Vergleich: Das Champions-League-Finale 2016 hatte 8 Millionen Zuschauer. Diese Zahlen zeigen sehr deutlich, wie erfolgreich YouTube gerade bei Kindern und Jugendlichen ist.
Für viele – mich eingeschlossen – hat YouTube das Fernsehen als Unterhaltungsmedium abgelöst. Als immer mehr Jugendliche anfingen, YouTube zu schauen, war ich begeistert. Durch die steigenden Gewinne konnten die YouTuber immer bessere und hochwertigere Videos produzieren. Videos von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen für Jugendliche oder junge Erwachsene. Das Beste daran: Niemand sagt den Videoproduzenten, was sie wie machen sollen. Die YouTuber können sagen, was sie denken, ohne von jemandem in der Chefetage zu hören, dass das so nicht geht.
Doch meine Begeisterung für diese Entwicklung hielt nicht lange an. Ich bemerkte, dass die Videos immer stumpfsinniger wurden und nur noch darauf ausgelegt waren, den YouTubern möglichst viel Geld mit wenig Arbeit einzubringen. Um dieses Ziel zu erreichen, begannen viele YouTuber extremes Clickbait. Mit Videotiteln wie „Warum hat sie mir das angetan.. 😢 (Freundin betrügt!)“ oder „HEIKO MIT DROGEN ERWISCHT!?-#WKA“ werden Zuschauer animiert, auf die Videos zu klicken. Hinter diesen Titeln verbergen sich jedoch Beiträge, die nahezu nichts mit dem zu tun haben, was im Video zu sehen ist. Reine Effekthascherei, um Zuschauer anzufixen. Klickzahlen bringen Geld. Auch ich bin auf diese sensationsheischende Aufmachung schon hereingefallen.
Wenn man auf „Warum hat sie mir das angetan.. 😢 (Freundin betrügt!)“ klickt, sieht man zwar einen kurzen Einspieler, in dem die Freundin des YouTubers so tut, als würde sie ihn betrügen – dieser Einspieler geht jedoch nur eine Minute. Im restlichen Video bewertet die eben erwähnte Freundin das Aussehen anderer YouTuber – und es geht um Sex. Abgerundet wird das „Meisterwerk“ von einem Thumbnail (Titelbild), auf dem die Freundin mit verpixelten Brüsten oben ohne dasitzt. Eine Szene, die im Video nie vorkommt. Auch der Titel des anderen Videos „HEIKO MIT DROGEN ERWISCHT!?-#WKA“ ist mehr Schein als Sein. Hinter dem Titel verbirgt sich ein Frage- und-Antwort-Clip, bei dem in den letzten Minuten kurz auf die Frage eingegangen wird, ob Heiko denn Drogen nimmt. Die Antwort: Nein! Dann gibt es noch einen kleinen Appell gegen Drogen, der mit dem Satz endet: „Leute am besten lasst ihr die Finger von Drogen.“
Aber das Clickbait ist nicht das größte Problem auf YouTube: Diesen Titel haben sich die Angebote der Plattform mit dem Manipulieren von Kindern und Jugendlichen verdient. Im besten Fall passiert das nur, damit die Fans Artikel der YouTuber wie Bücher, Filme, Music, T-Shirts oder Dusch-Schaum kaufen. Im schlimmsten Fall führt es dazu, dass die Zuschauer Themen wie Homophobie, Sexismus oder Rassismus in ihrem Alltag akzeptieren. Denn diese „Werte“ werden leider von einigen Größen in der YouTuber-Szene in Deutschland vorgelebt. Das äußert sich in Videos wie „Bei der POLIZEI als SCHWUL eingetragen :O“, in dem der YouTuber „Ksfreakwhatelse“ durch eine Reihe von Missverständnissen als Lebenspartner auf dem Notfallausweis eines guten Freundes eingetragen ist. Kaum ist er mit dieser Geschichte fertig, fängt er an zu schreien, dass er unter keinen Umständen als schwul gelten will.
Ein weiteres Beispiel für die fragwürdigen Werte mancher YouTuber ist das Musikvideo „Mädchen aus dem Block“. In diesem Rap-Song geht es darum, dass der „Künstler“ Leon Machère über seine Traumfrau singt. So weit, so gewöhnlich. Interessant wird es, wenn man genauer auf den Text achtet. Obwohl das komplette Lied damit beschäftigt ist, diese wunderbare Frau zu beschreiben, verliert er kein einziges Wort über ihre Charaktereigenschaften oder was sie ansonsten besonders macht. Es geht ausschließlich um ihren Körper, der laut Liedtext besonders „WOW“ ist. Um jeden Zweifel auszuräumen, dass Frauen denkende und liebende Wesen sind, sind sämtliche weibliche Wesen in diesem Musikvideo leicht bekleidet. Die Kamera hängt ständig auf Höhe der Brüste oder des Hinterns. Es geht allein um die Darstellung der Äußerlichkeit. Den größten Frust löst bei mir jedoch aus, dass dieses Video 128.700 positive Bewertungen bekommen hat. Wahrscheinlich stetig wachsend!
Und dennoch bin ich hellauf begeistert von YouTube, denn auf jeden Idioten, der seine Homophobie und seinen Sexismus über YouTube in die Welt posaunt, kommen mindestens 10 Nutzer, die sich gegen diese „Werte“ aussprechen. Teils tun sie das, indem sie Kommentare wie diesen schreiben: „Leon, bitte tu mir einen Gefallen: Lass es einfach. Du verhältst dich wie ein frauenfeindlicher, famegeiler Mann. Spricht für wenig IQ und einfach ein bitteres Leben.“ Oder auch durch Videos, in denen der Content kritisch betrachtet und mit einer gewissen Prise Humor durch den Kakao gezogen wird, wie es der YouTuber „der Heider“ in seinen Videos tut. Außerdem bietet YouTube für viele kreative Künstler eine Plattform, um sich völlig frei auszutoben. Der Regisseur Neill Blomkamp hat den Kanal „Oats Studios“ gegründet, auf dem er experimentelle Kurzfilme hoch lädt, und dadurch beweist, dass YouTube ein wahrer Segen für Kreative sein kann. Die einzige Bedingung ist, dass die Comunity die Aufgabe übernimmt, Fehler anderer zu kritisieren und über sie aufzuklären. In einem nicht beleidigenden Ton.
Foto: Jens Lingenau