Der Pinsel ist der Dialog
Die Bildung ein niemals endendes Gemälde – und wir sollten viele Bilder malen
Warum brauchen wir Bildung überhaupt? Geht doch auch ohne, oder? Nein, Bildung bildet die Grundlage für alles, für ein friedliches Miteinander, unabhängige Entscheidungen und ein selbstbestimmtes Leben. Ohne Bildung wäre der Mensch heute noch ein Jäger und Sammler.
Aber was ist Bildung eigentlich? Und vor allem, ab wann bin ich gebildet? Erste Antwort: Gebildet ist man, wenn man bei den unterschiedlichsten Themen mitreden kann. Mit der festen Überzeugung immer mitreden zu können, wenn es um Politik geht, lud ich mir vor einiger Zeit die Tagesschau-App auf mein Handy und begann täglich die Nachrichten zu lesen. Und siehe da: Ich konnte Politikernamen jetzt Gesichtern und Ämtern zuordnen, war immer „uptodate“. Das ist sehr wichtig, wenn es um Bildung geht: immer „uptodate“ zu sein. Wer den Anschluss verpasst, hat verloren. Kein Wunder, dass ein guter Freund von mir das politische Weltgeschehen mit einer Serie vergleicht. Wenn man auch nur eine 20-Uhr-Sendung der Tagesschau verpasst, kann man plötzlich nicht mehr mitreden. Plötzlich ist ein Charakter gestorben oder hat einen anderen umgebracht und man weiß nichts davon – schrecklich.
Wer gebildet sein will, muss immer informiert bleiben und vor allem: sich immer weiter informieren. „Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Hört man damit auf, treibt man zurück.“ hat schon Laotse gesagt. Bildung ist eine Sache der Beständigkeit, der Disziplin. Bildung hört nie auf. Sie ist wie Sport. Einmal Sport ändert nicht viel. Es ist die regelmäßige Bewegung, die einen Menschen sportlich werden lässt. So ist es auch eine ständige Weiterbildung, die einen Menschen gebildet werden lässt.
Bildung ist also ein Prozess. Gleichzeitig ist sie aber auch das Produkt. Sie ist ein permanenter Vorgang ohne Ende. Es gibt keinen Zeitpunkt, ab dem eine Person „gebildet“ ist.
Wie aber erlange ich Bildung und die Fähigkeit, mitreden zu können? Ganz einfach: durch das Mitreden und vor allem das Zuhören. Es geht bei Bildung nicht um reines Wissen, sondern um den Wunsch, etwas wissen zu wollen. Die Bildung kommt dann von selbst. Es bedarf Neugier, Interesse und Offenheit. Die Bereitschaft für Diskurs. Gebildet ist der, der bereit ist, gebildet zu werden.
In jedem Gespräch, das über Smalltalk hinausgeht, erlangen wir Bildung und bilden zugleich den anderen. Der Austausch ermöglicht das Eintauchen in andere Perspektiven, das Erweitern des Horizontes. Es geht bei Bildung auch darum, Themen von verschiedenen Seiten beleuchten zu können.
Im Grunde ist es nicht relevant, wie wir uns bilden. Sei es lesen, unterhalten, durch Museen gehen, Dokus schauen oder einfaches Zuhören. Wir werden immer ein Stück weiter gebildet. Mit jeder Information, die unser Gehirn aufnimmt, werden wir gebildet. Das ist nützlich. Doch auch diese Medaille hat zwei Seiten. Wir können nicht steuern, wer uns was erzählt, was wir wo lesen oder hören. Alle Reize prägen uns, überall werden wir gebildet, im Negativen wie im Positiven. Das ist gefährlich. Umgeben wir uns mit Menschen, die rassistische Gedanken verbreiten, werden auch wir möglicherweise rassistisch. Wir werden so wie die Menschen, die Videos und die Bücher um uns herum. Deshalb gibt es Menschen, die bereit sind sich und andere in die Luft zu sprengen oder zwei Türme mit Flugzeugen zum Stürzen zu bringen. Sie wurden so gebildet, und haben nicht darauf geachtet, zu was sie gebildet werden. Bildung ist auch Steuerung. Was teile ich wem mit, zu welchen Vorgaben hat jemand Zugang.
Wir müssen darauf achten, mit was, und vor allem mit wem wir uns beschäftigen. Der Diskurs bringt zwar Bildung, aber es bedarf des Diskurses mit vielen verschiedenen Menschen, mit verschiedenen Meinungen. Sonst kann es zu Gehirnwäsche werden. Und ja, auch Gehirnwäsche ist Bildung. Einseitige Bildung. Um einseitiger Bildung entgegenzuwirken, gibt es gute Schulen. Bei unterschiedlichen Lehrern wird man in Deutschland in verschiedenen Fächern gelehrt. Viele kritisieren das breite Spektrum an Lernbereichen, die bis zum Schulabschluss abgedeckt werden, aber es ist genau das, was Bildung ausmacht: die Auseinandersetzung mit verschiedenen Themen. Die Fähigkeit, das eigene Interesse auch für unbekannte Themen zu wecken. Die Fähigkeit, auch Menschen mit anderer Meinung zuzuhören und ihre Ansichten zu akzeptieren.
Zuhören kann man bei Vorträgen, bei Diskussionsrunden, im Gespräch mit Freunden, Lehrern, in Vereinen und Clubs, wem auch immer. Wichtig: Wir müssen einordnen können, wer uns was sagt. Manchmal auch: Warum uns das jemand sagt. Das gilt genauso für Medien. Zum Beispiel welcher Verlag oder welche Sendeanstalt dahinter steckt. Ein unabhängiger Anbieter oder ein Finanzier mit Lobby-Hintergrund? Schaut ins Impressum, merkt euch welche Quelle ihr konsumiert. Je abenteuerlicher die Ansicht, umso wichtiger ist die Angabe, wen ihr zitiert. Wissen hilft, die Meinungen anderer einzuordnen. Gerade in Zeiten von Fake News und alternativen Fakten ist die Fähigkeit seriöse Quellen von anderen zu unterscheiden sehr wichtig. Hinterfragen sollte man immer. Worte sind nicht gleich Wissen. Bildung erlangt nur der, der auch über das Gelernte reflektiert und nicht nur alles aufsaugt
Andere Perspektiven kann man über Bücher erlangen. Viele Städte haben Stadtbüchereien ebenso Schulen und Unis mit Lesesälen und Ausleihmöglichkeiten. „Gebildet ist, wer weiß, wo er findet, was er nicht weiß“ lautet hier die Devise, denn auch zu wissen, wo ich welches Wissen herbekomme, gehört zu Bildung.
Eine andere Möglichkeit, Wissen zu sammeln und neue Eindrücke zu bekommen, ist ein Museumsbesuch. Meine Geschichtslehrerin hat uns ein Projekt im Stadtmuseum machen lassen. Jeder sollte die Klasse durch einen kleinen Teil des Museums führen. Warum ist sie in meiner 12-jährigen Schulzeit die einzige, die auf die Idee kommt, das Museum zu nutzen? Museen ermöglichen es uns, in andere Zeiten zu reisen und unsere Perspektive zu wechseln. Das ist Bildung aus erster Hand, besser geht es nicht. Es ist wie ein Dialog mit vergangenen Zeiten. Natürlich merken wir uns nicht alles, was wir dort sehen und lesen. Es bleibt jedoch immer etwas hängen. Gleiches gilt für historische Bauten in Rastatt wie das Schloss oder die Kasematten. Sie bieten Einblicke in Vergangenes. Neue Perspektiven und Eindrücke.
Von allen Bildungsmöglichkeiten macht mir persönlich der Diskurs am meisten Spaß. Wenn ich mit Freunden oder Mitschülern diskutiere, bekomme ich Einsichten, die mir kein Buch so geben kann und es macht unglaublich Spaß. Auch merke ich, wie ich mit jeder Diskussion wachse, wie ich bei jedem neuen Gespräch, etwas von einem früheren Gespräch einbringen kann. Bildung baut auf sich selbst auf. Sie ist wie ein niemals endender Turm, wo ein Stein auf dem anderen gesetzt wird. Ein paar Grundsteine hat jeder und darauf können sich Gespräche entwickeln. Mit jeder Diskussion kommen neue Steine dazu, und der Turm wird immer höher und höher.
Bildung hört nicht auf. Sie ist der berühmte Weg und das berühmte Ziel in einem. Beides. Es wird nie der Punkt kommen, an dem wir uns auf die Couch legen können und sagen: „So, jetzt bin ich gebildet“. Auch nicht, wenn wir endlich wissen, dass Bernd Höcke eigentlich Björn heißt. Oder war es doch andersherum?
Bildung besteht letztendlich auch einfach nur aus einem Bild, das wir uns von Dingen machen. Gute Bildung besteht aus vielen verschiedenen Bildern. Die absolute Wahrheit werden wir aber niemals finden. Bildung ist subjektiv und divergent.
Wir sollten einfach offen durch die Welt gehen, unterschiedlichen Menschen zuhören und unsere Ansichten teilen. Zum Dialog gehören immer zwei. So auch zur BILDung. Es braucht einen Maler und eine Leinwand. Einen Autor und einen Leser. Einen Lehrer und einen Schüler. Der Pinsel ist der Dialog. Die Bildung ein niemals endendes Gemälde.