„Das müssen Politiker sein, die mutig sind“
Interview mit Roman Zitzelsberger zum Dieselgipfel
RAVOLUTION: Sie waren Teilnehmer beim sogenannten Dieselgipfel. Es sollen 5 Millionen Autos Software-Updates erhalten. Darin sind bereits 2,5 Millionen VW-Fahrzeuge enthalten, die nach dem Skandal nachgerüstet wurden. Ist es nicht eigentlich selbstverständlich, diese Nachrüstung vorzunehmen? Für was braucht man da einen Gipfel? Inwiefern wird das eigentliche Thema – nämlich, dass der Diesel schmutzig ist unabhängig von betrügerischer Software – angegangen?
Roman Zitzelsberger: In Wirklichkeit geht es darum, das Hauptproblem des Diesels in den Griff zu kriegen – und das lautet Stickoxide. Das Problem taucht hauptsächlich in den Ballungsgebieten auf und die Nachrüstungen sollen dazu beitragen, dass weniger Stickoxide ausgestoßen werden. In der Tat gibt es keine ausreichende Verpflichtung und es braucht politischen Druck, damit die Fahrzeugindustrie reagiert.
RAVOLUTION: “Wir halten es im Grunde genommen für ausgeschlossen, Hardware-Nachrüstungen vorzunehmen”, sagte Volkswagen-Chef Matthias Müller. “Einmal des Aufwandes wegen, aber auch, weil die Wirkung fragwürdig ist.” Die Zeit schrieb dazu: Dem widersprach der ADAC. Nach seinen Angaben ließe sich der Stickstoffausstoß nicht nur um 25 Prozent, sondern um bis zu 90 Prozent senken, wenn die betroffenen Autos auch mit Hardware nachgerüstet würden. In Anbetracht dessen: Hat die Politik wirklich so viel Druck ausgeübt?
Roman Zitzelsberger: Der Druck kam an dieser Stelle weniger von der Politik, sondern von der Öffentlichkeit. Übrigens hat Verkehrsminister Dobrindt dazu am allerwenigsten beigetragen, die Ministerpräsidenten der Länder haben deutlich mehr auf die Reihe gekriegt. Herr Dobrindt hat mehr dazu beigetragen, dass es nicht gelungen ist, das Verabredete verbindlich, nachprüfbar und messbar zu machen. Das ist der große Mangel dieses Gipfels: Die Politik hat formuliert, was sie gerne hätte. Die Automobilindustrie hat bestimmte Maßnahmen zugesagt. Das hätte man gleich in eine Vereinbarung packen müssen, die rechtssicher ist.
Jetzt zur Frage Hardware – Software. Ich habe mich intensiv damit beschäftigt, weil ich es aufgrund meiner Aufsichtsratfunktion verstehen muss. Bei dieser Hardwarenachrüstung gibt es folgendes Problem: Es gibt kein One-size-fits-all-Paket, sondern für jedes einzelne Fahrzeug muss eine Lösung entwickelt werden. Und das ist nicht irgendein Röhrchen, das man hinein steckt. Sondern man braucht den Tank, den SCR-Katalysator, die Zuführungsleitung, die Fahrzeugsteuerung, und dann muss man irgendwo im Auto einen Platz dafür finden. Das heißt nochmal Entwicklungsleistungen. Bis das querbeet über eine ganze Flotte für jedes Fahrzeug entwickelt ist, dauert es Jahre – und die betroffenen Fahrzeuge sind heute schon etliche Jahre alt. Da ist einfach die Wahrscheinlichkeit der Wirkung viel zu gering. Deshalb ist es richtiger, die schnellen Software-Lösungen zu machen. Gleichzeitig müssen die Euro-1- bis Euro-4-Fahrzeuge von der Straße verschwinden. Die Autoindustrie muss den Beweis antreten, dass damit die Stickoxid-Belastung in den Städten tatsächlich unter die Grenzwerte gesenkt werden kann. Sie hat zu dem Vertrauensverlust am meisten beigetragen.
RAVOLUTION: Lobbyismus ist sehr stark. In unserem Umfeld steht da immer ein gewisser Vorwurf im Raum. Finden Sie die firmengerechte Politik noch gerechtfertigt? Oder ist da etwas aus der Balance geraten?
Roman Zitzelsberger: Die Hauptaufgabe der Autoindustrie ist, das verloren gegangene Vertrauen wieder zu erarbeiten. Robert Bosch, der Gründer des Bosch-Unternehmens, hat gesagt: „Ich verliere lieber Geld als Vertrauen.“ Im Augenblick erlebe ich eher das Gegenteil. Wenn man nach dem Grundsatz von Robert Bosch frühzeitig nach dem Aufpoppen des ganzen Themas 2015 reagiert hätte, hätte man einen ganz großen Sprung nach vorne gemacht, um das Vertrauen wieder herzustellen.
RAVOLUTION: Nochmal zu diesen Vorwürfen nach dem Motto „Die Politik macht doch nur, was die Firmen wollen“. Was halten Sie von diesen Vorwürfen? Wie war das früher? Wie ist das heute? Hat sich das gesteigert?
Roman Zitzelsberger: Die Frage ist, wann ist früher? Ich glaube, das war schon zu jeder Zeit der BRD so. Seit der Nachkriegsgeschichte gab es eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Politik, zwischen Regierung und Gewerkschaften. Das hat viel zu unserem Wohlstand beigetragen. Allerdings ist entscheidend, dass die Politik immer die bestimmende Norm für gesellschaftliches Recht und Unrecht ist. Dass alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gruppen ihre Meinung dazu sagen können, halte ich für vollkommen richtig und wichtig. Am Ende hat aber die Politik die Verantwortung. Das heißt, das müssen Politiker sein, die mutig sind und die Dinge angehen. Die sich nicht ins Bockshorn jagen lassen, die nicht zögern und zaudern. Das ist eins der Probleme dieser ganzen Auseinandersetzung um den Diesel. Insbesondere die Bundespolitik hat viel zu lange rumtaktiert, viel zu lange gezaudert.