Bürokraten, lernt verständlich zu schreiben!
Wenn Briefe an Bürger voller Juristendeutsch nicht mehr verstanden werden

Ein kleines Gedankenexperiment: Du bekommst einen Brief des Bürgerbüros deiner Stadt. Prinzipiell kein gutes Zeichen, doch was Du beim Öffnen liest, lässt Deine Laune noch mehr sinken:
„Hiermit gewähre ich gemäß §100 Abs.1 Nr.1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) Eingliederungshilfe nach §39, 40 Abs.1 Nr.8 und §43 Abs.1 BSHG in Verbindung mit §55 Abs.1. Nr.2 des neunten Sozialhilfegesetzbuches (SGB IX) in folgender Einrichtung: dem Kindergarten in der Beispielstraße.“
Ok, Schluss mit diesem Experiment. Und jetzt eine ehrliche Antwort: Hast Du auch nur ansatzweise verstanden, worum es überhaupt geht? Keine Sorge, Dir geht es nicht anders als dem Großteil der Bevölkerung. Dabei ist der Inhalt des Briefes im Grunde genommen nicht kompliziert und im übrigen auch nicht negativ: Die Behörde übernimmt die Kosten für den Kindergartenplatz in der Beispielstraße. Doch warum nicht einfach so? Haben „die Beamten“ kein Interesse, dass man sie auch versteht?
Die Erklärung scheint einfach zu sein. Das Beamtendeutsch ist eine Sprache von Experten für Experten. Konkret bedeutet das: Ein Rechtsanwalt beispielsweise kann Dokumente wie den Brief problemlos lesen, verstehen und in gleicher Art und Weise beantworten. Doch Rechtsanwälte und Berufsgruppen, die mit dieser Fachsprache vertraut sind, machen nur einen kleinen Anteil der gesamten Bevölkerung aus. Die breite Masse als Zielgruppe versteht davon jedoch nichts. Es entsteht ein Kommunikationskonflikt.
Die Probleme, die sich dadurch ergeben, sind nicht gerade gering. Zunächst stellt sich die Frage, wer von dieser Sprache profitiert. Schnell ist klar, der normale Bürger auf keinen Fall, viel mehr die Fachbearbeiter selbst. Und schon das ist ein Skandal. Denn es zeigt ganz deutlich, wer nicht im Mittelpunkt all dessen steht: der Mensch. Dabei soll es doch um ihn gehen, die Sprache müsste jedem verständlich sein – gerade in solchen Punkten. Erst recht wenn das Schreiben vom „Bürgerbüro“ kommt. Und das führt – verständlicherweise – zu Unmut. Schnell schlägt dieser Unmut um in etwas Gefährliches: in Verdrossenheit. Es wird ein Bild von „denen da oben, die unverständliche Regeln machen“ und „uns da unten“ suggeriert. Und warum? Weil man nicht dieselbe Sprache spricht. Fehlgeschlagene Kommunikation kann Menschen in einer Gesellschaft schneller spalten, als man es zunächst vielleicht erwarten mag.
Ein weiteres Beispiel: Ein geflüchteter Mensch möchte nach seiner Anerkennung und Aufenthaltsgenehmigung (ein übrigens viel zu langes Wort) aus einem Flüchtlingsheim in eine Wohnung ziehen. Doch Sozialwohnungen sind knapp, gerade für Nicht-Deutsche mit mehreren Kindern. Die mögliche Lösung: Er kann einen „Allgemeinen Wohnberechtigungsschein“ beantragen. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass diese Person mit vermutlich mangelnden Deutschkenntnissen keinen blassen Schimmer hat, was das sein soll, geschweige denn die dafür benötigten Dokumente lesen oder verstehen kann.
Wenn nun niemand helfend beiseite steht, hat diese Person eigentlich schon verloren. Denn das Nichtverstehen kann schnell in Resignation umschlagen, Resignation in Frustration. Ich wüsste nicht, wie verzweifelt ich an dieser Stelle wäre. Fälle, in denen das bloße Ankommen eines Briefes mit offiziellem Logo schiere Panik auslöst, sind mir aus persönlichem Umfeld bei Geflüchteten bekannt. Es ist klar, dass dieser Zustand keine gesunde Beziehung zwischen Staat und Menschen darstellt. Doch was tun?
Die Antwort ist simpel: Die Beamtensprache abschaffen und mit einer anderen Sprache ersetzen. Der einfachen Sprache. Es fängt beim Ersetzen des „raumübergreifenden Großgrüns“ durch „Baum“ an. Doch damit ist es noch lange nicht getan. Es muss gewährleistet sein, dass jede Person alle Dokumente solcher Art verstehen kann. Unabhängig muss sein, aus welcher Bildungsschicht jemand kommt. Denn es nicht zu dulden, dass Beamtensprache eine Hürde darstellt, etwas zu verstehen. So verschlechtert sich nämlich zunehmend das Verhältnis Mensch – Staat. Was auch logisch ist, wie soll man sich schließlich mit einem Staat, beziehungsweise seiner Politik identifizieren, wenn man ihn nicht versteht? Klar, es geht um Rechtsstaatlichkeit, um Gesetze und Paragraphen. Die Sorge des Staates und seiner Behörden, verklagt zu werden. Die Juristensprache soll davor schützen. Doch was ist wichtiger? Wer steht im Mittelpunkt? Der Mensch oder das Gesetz?
Man muss im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf eine Wellenlänge kommen. Auf eine gemeinsame, sprachliche Wellenlänge. So spart man sich Zeit, Ärger und wirkt Politikverdrossenheit entgegen. Und das nur mit der Wahl anderer, einfacherer Worte. Also, wenn es nicht anders geht: Legt den Juristenbriefen ein Erklär-Schreiben bei. Das ist das Mindeste, was wir Menschen in unserem Land erwarten können.