Auf der Suche nach der einen wahren Liebe
Liebe auf den ersten Blick oder Liebe nach der siebten Krise?
„Wahre Liebe“ im Zeitalter der Scheidungen. Gibt es das überhaupt? Und was macht diese Liebe aus? Gibt es die „Liebe auf den ersten Blick“? Wie erkenne ich „den/die Richtig(e)? Ich, eine 17-Jährige ohne große Erfahrungen mit Beziehungen, mache mich auf die Suche nach Antworten auf die große Frage der „wahren Liebe“.
Dank Disney-Filmen, Büchern und einer romantischen Fantasie habe ich früher immer von der „Liebe auf den ersten Blick“ geträumt und war mir sicher, dass diese auch die „große Liebe“ sein muss. Irgendwann erkannte ich, dass sich Liebe auch aus Freundschaften (siehe Lovestorys des Mädchenmagazins BRAVO) entwickeln kann oder dieser „erste Blick“ auch trügen mag. „Aber wie“, fragte ich mich mit 14 dann, „kann ich diese große Liebe erkennen?“. Ich tröstete mich mit der Antwort, die mir Ältere gaben: „Das merkst du dann schon“ – aber wirklich geholfen hat mir diese Antwort nicht.
Später habe ich meine Großeltern nach ihrer Meinung zur „wahren Liebe“ gefragt. Sie erzählten mir von dem Warten auf die Ehe vor dem ersten Mal, wie es vor 50 Jahren noch gang und gäbe war. War! Vergangenheitsform. Heute wäre das undenkbar. Zumindest für den Durchschnittsjugendlichen. Mit 16 Jahren haben die meisten Jugendlichen in Deutschland ihr erstes Mal. Das spricht für wenige, die auf die Hochzeitsnacht warten.
Liegt das an der Liberalisierung der Gesellschaft? An dem immer früheren Einsetzen der Pubertät? Oder hat Sex heute einfach nicht mehr so viel mit „wahrer Liebe“ zu tun wie früher? Vielleicht dient Sex mittlerweile einfach dem Spaß, der Freude und nicht mehr als Liebesbeweis oder als etwas, das man sich für „den oder die Richtige(n)“ aufbewahrt.
Personen, die die „große Liebe“, wie wir sie uns vorstellen, gefunden haben, beschreiben sie als eine Verbindung wie eine tiefgehende Freundschaft, ergänzt durch die körperliche Anziehung. Sie beinhaltet Bedingungslosigkeit: keine Erwartungen zu haben und keine Kriterien, alles an dem Anderen so zu akzeptieren – und zu lieben – wie es ist. Wenn aus einer „normalen“ Beziehung eine „wahre Liebe“ wird, braucht man den Partner nicht mehr, man will ihn in seinem Leben haben.
Doch „wahre Liebe“ bedeutet auch, sich seinen Ängsten zu stellen, seinen Schutzwall herunterzufahren und sich zu öffnen. Es ist nötig, sich ganz zu zeigen, wenn man will, dass auch der andere alles von sich preisgibt. Diese tiefe Bindung beinhaltet, dass beide zu ihren Schwächen stehen. Es geht um das gegenseitige unterstützen, das gemeinsame Wachsen und das gegenseitige Motivieren zum Erreichen der jeweiligen Träume.
Diese Beschreibung mag für viele nach einem Liebesroman klingen – aus dem Stoff von Geborgenheit, rosa Herzchen und viel Fantasie. Doch genau das ist „die wahre Liebe“, auf die so viele hoffen. Und von der manche berichten, sie gefunden zu haben. Ein Senior, den ich danach gefragt habe, und der seiner Meinung nach die große Liebe gefunden hat, meint, dass die „wahre Liebe“ nicht auf den ersten Blick entsteht und auch nicht auf den zweiten. Der erste Blick entscheide nur über eine gewisse Sympathie, die man füreinander empfinde. Bei „wahrer Liebe“ gehe es darum, miteinander durch dick und dünn zu gehen, zusammen Herausforderungen zu meistern und gerade in den Krisenphasen füreinander da zu sein.
Früher, sagt er, waren Scheidungen verpönt, weshalb Paare auch da noch für ihre Beziehung gekämpft hätten, wenn Paare von heute einfach die Scheidungspapiere unterzeichnen würden.
„Wahre Liebe“ ist dort zu finden, wo zwei Menschen dazu bereit sind, füreinander zu kämpfen, offen miteinander zu kommunizieren und einander zu verzeihen. Es erfordert eine Offenheit gegenüber dem Partner, die bei vielen Frauen und Männern Angst vor Vertrauensmissbrauch verursachen mag. Doch erst durch das Öffnen, Vertrauen und miteinander die schwersten Momente überstehen wird aus einfacher Liebe „wahre Liebe“. Es ist nicht „Liebe auf den ersten Blick“, sondern „Liebe auf die siebte Krise“. Liebe geht nicht „durch den Magen“, sondern „durch die Zeit“ und der Spruch „Alte Liebe rostet nicht“ stimmt. Denn kennt man eine Person erst einmal so gut, will man sie nicht mehr loslassen und ist bereit, immer weiter zu kämpfen.
Heute mag alles schneller gehen und unsere „Wegwerf-Gesellschaft“ mag den Eindruck von leichter Ersetzbarkeit vermitteln. Doch eine Beziehung und gemeinsam verbrachte Zeit lassen sich nicht austauschen. Vielleicht glaubt ein Teil der Jugend nicht an die große Liebe, weil Jugendliche nicht gelernt haben, für Menschen zu kämpfen. Oder weil das Misstrauen zu groß ist, man würde selbst ausgenutzt werden. Möglicherweise ist es aber auch die Auswirkung der Konsumgesellschaft, in der immer das vermeintlich Beste angestrebt wird. Somit wird alles Alte weggeschmissen, sobald sich etwas Besseres scheinbar nähert.
Aber auch die Jugend lässt sich, was Liebe angeht, nicht einer Meinung zuteilen. Ich halte die „wahre Liebe“ für ein reales Phänomen, weiß jedoch nicht, ob man sich diese über die Zeit erarbeiten muss oder ob es sie vielleicht doch „auf den ersten Blick“ gibt. In jedem Fall muss eine Beziehung so oder so gepflegt werden, sei sie nun auf den „ersten Blick“ entstanden oder erst mit der Zeit. Sie ist eine der schönsten Erfahrungen des Lebens und – hat man sie erst einmal gefunden – jedes Engagement und alles Kämpfen wert.
Vielleicht wird es mit der „wahren Liebe“ immer so bleiben, dass die Meinungen auseinandergehen und weder ein Philosoph noch ein Wissenschaftler sagen kann, was genau sie ausmacht und wie man sie erreicht. Im Endeffekt ist sie ein Gefühl, und Gefühle sind irrational, weshalb man sich auf der Suche nach ihr vielleicht wirklich nur damit trösten kann, dass „man es dann schon merken wird“, wenn der oder die Richtige auftaucht.