Wie Polarisierung unsere Demokratie bedroht
Plädoyer für mehr Grautöne im Schwarz-Weiß-Denken
In vielen Gesprächen scheint diese Frage am wichtigsten zu sein: Wer hat Recht? Anscheinend geht es nicht um den Austausch von Argumenten, es wird nicht zugehört, die Gegensätze sind im Vorhinein betoniert. Haben wir das Diskutieren und den gemäßigten Austausch verlernt?
Als erstes Beispiel führe ich den Nahost-Konflikt an. Nach den Angriffen von Hamas-Terroristen auf die israelische Zivilbevölkerung und den folgenden Militäroperationen im Gazastreifen scheinen die Diskussionen nur zwei mögliche Schlüsse zuzulassen: entweder kompromisslose Solidarität mit Israel oder den Vorwurf, ein „Judenfeind“ zu sein. Kaum zu hören waren Stimmen, die Israels Recht auf Selbstverteidigung anerkennen, aber zugleich die humanitäre Katastrophe klar benennen. Genau hier zeigt sich die Gefahr des Schwarz-Weiß-Denkens: Differenzierte Stimmen verschwinden im Lärm der Extreme.
Zweites Beispiel: die Corona-Maßnahmen bei uns. In Deutschland sind nach offiziellen Angaben rund 187.740 Menschen an oder mit Covid-19 gestorben (Quelle: Infektionsradar des Bundesministeriums für Gesundheit, Stand Oktober 2025). Schulen waren monatelang geschlossen, insgesamt waren etwa 11 Millionen SchülerInnen betroffen. Studien belegen einen massiven Anstieg psychischer Belastungen: Depressionen, Angststörungen und Lernrückstände. Doch wer damals auf psychische Belastungen hinwies und für weniger tiefgreifende Einschnitte argumentierte, wurde schnell als „Schwurbler“ oder gar „Mörder“ abgestempelt. Umgekehrt wurden Befürworter von Impfungen und Lockdowns von Skeptikern als „blindgläubige Panikmacher“ oder „Systemschafe“ verunglimpft. Auch hier blieb kaum Raum für Zwischentöne.
Demokratie braucht aber Grautöne in der Diskussion. Ob Nahost, Covid-Pandemie oder ein beliebiger anderer Konflikt: Ständig scheinen wir gezwungen, uns auf eine Seite zu schlagen. Doch Demokratie lebt von Komplexität, vom Aushalten widersprüchlicher Positionen und von der Bereitschaft zuzuhören. Denn Demokratie heißt nicht: „Du hast Recht“ oder „Du liegst falsch“. Demokratie heißt: Wir reden miteinander, auch wenn wir nicht einer Meinung sind. Reden wir miteinander. Natürlich auch innerhalb verschiedener Generationen.





