Was sagen die Wahlplakate eigentlich aus?
Eine subjektive Analyse des plakativen Auftritts der Großparteien

Am 24. September ist Bundestagswahl. Doch weiß die Hälfte der Bevölkerung auch kurz davor noch nicht, was sie wählen will. Jetzt wird es Zeit!
Die Politik ist in Stimmung, die heiße Phase angebrochen. Jetzt geht es darum, den Wählern die Überzeugung der eigenen Politik und visionäre Ideen mitreißend zu vermitteln. Kurzum, es könnte Wahlkampfstimmung sein. Könnte. Stattdessen wird uns mit Merkel und Schulz ein TV-Duett serviert, bei dem nur noch ein Heiratsantrag der beiden Kandidaten gefehlt hätte, um den Abend abzurunden. So dankbar, wie die beiden sich waren und ständig bei den Reden des anderen genickt haben.
Dass aber trotzdem gerade so etwas wie Wahlkampf stattfindet, merkt man an den Wahlplakaten an jeder Straßenecke. Sie wollen für die Partei, die Spitzen-Kandidaten und die Vertreter aus dem jeweiligen Wahlkreis werben. Im Idealfall mit Erst- und Zweitstimme. Die Funktion der Erststimme ist, dass aus der eigenen Region ein Vertreter in den Bundestag gewählt wird, der seinen Heimatbereich vertritt. Dass einem allerdings ein Wolfgang Schäuble oder eine Andrea Nahles vertrauter vorkommen, als ein Kai Whittaker oder eine Gabrielle Katzmarek, ist ein anderes Thema. Doch habe ich durch die Plakate als Erstwähler wenigstens ein Gesicht zu den Direktkandidaten. Diese Funktion haben die Plakate immerhin mit Bravour bestanden. Doch wie wirkt diese Werbung der eigenen Partei auf einen? Eine Analyse der Parteien, die wahrscheinlich in den Bundestag einziehen werden, hier meine Ansichten:
Bei der CDU sind auf jedem Plakat die Farben Schwarz, Rot und Gold zu sehen. Allerdings nicht als klassische Fahne, sondern ein bisschen wirr über die Fläche verteilt. Offenbar wollte man „hipp“ wirken, aber gleichzeitig, mit der Kanzlerin die rechte Wählerschaft durch das Bekenntnis zu den Deutschlandfarben ansprechen. Die Partei schrieb sich einst selbst auf die Fahne, dass „rechts neben der CDU keine Partei im Bundestag Fuß fassen wird“. Doch durch Merkels gemäßigte Politik werden wahrscheinlich gleich zwei Parteien rechts von der CDU in das Parlament einziehen: die eigentlich liberale FDP, die ein bisschen in ihre Position reingedrückt wurde, und die AfD. Deswegen die Farben Schwarz, Rot, Gold, um eventuell konservative Stimmen abzustauben.
Die SPD hält sich im klassischen Rot, ohne groß aufzufallen. Man könnte es auch als langweilig beschreiben. Auf den kleinen Plakaten sieht man nur Gabrielle Katzmarek, mit dem Hinweis, am 24. September wählen zu gehen. Laut einer Studie des Kommunikationswissenschaftlers Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim, verändern eintönige Plakate am wenigsten die Einstellung der Wähler. Allerdings wurde Gabrielle Katzmarek so häufig und auch vergleichsweise früh an Laternen und Bäumen abgebildet, dass man ständig mit ihr konfrontiert wurde, was relativ einprägend wirkt.
Im großen Kontrast zur SPD steht die FDP, die fast schon melancholisch auf den Betrachter wirkt. Mit ihren Schwarz-weiß-Aufnahmen ging mein erster Gedanke an eine Organisation für eine Partnervermittlung. Diese Schönbildaufnahmen wirken ziemlich befremdlich, symbolisieren aber auch die selbsternannte, „neue“ FDP. Wo die Partei aber besonders hervorsticht, ist der viele Text. An sich ist es nicht wichtig, dass das gefühlt halbe Wahlprogramm auf den Plakaten steht. Es erscheint im ersten Moment sogar eher abschreckend. Das Signal soll aber wahrscheinlich lauten: Wir haben viel zu sagen. Es wirkt auf den ersten Blick am interessantesten und bei dem vielen (klein gedruckten) Text, könnte man sogar mal stehen bleiben, um sich mit dem Plakat auseinanderzusetzen.
Bei den Grünen wird meistens überhaupt kein Kopf abgebildet. Stattdessen beschränkt man sich auf einen grünen Hintergrund mit einem Symbol, z.B. einer Weltkugel, Geld oder ähnlichem, abgedruckt in einem Magenta-Ton. Zudem ist es sehr textlastig. Aber nicht im Stile der FDP, da die Partei mit Christian Lindner nicht erwartet, dass man den Text liest. Bei den Grünen ist aber der Text der einzige Anhaltspunkt. Außerdem ist alles in Großbuchstaben geschrieben, was an sich auch nicht schlimm ist, aber in Kombination mit dem vielen Text gleich doppelt unproduktiv wirkt. DENN EIN SATZ IST EINFACH AUF DAUER SEHR VIEL SCHWIERIGER ZU ENTZIFFERN, WENN KEINE KLEINBUCHSTABEN VORHANDEN SIND. Auch knallen die Farben Grün, Magenta und Weiß etwas zu sehr insAuge.
Besonders abwechslungsreich ist die Linke mit ihren Plakaten. Sie sind nicht mehr „nur“ Rot, Schwarz und Weiß, sondern sogar ziemlich bunt. Unter einem Schlagwort, z.B. „Verdient“, „Respekt“, „Kinder“, „Nähe“ usw. kommt ein passender Spruch über das jeweilige Thema. Ob ihre farbliche Verspieltheit für einen guten Geschmack spricht, darüber lässt sich streiten. Immerhin fällt es auf. Man versteht aber oft erst auf den zweiten Blick, dass das ein Wahlplakat sein soll. Denn ebenso wie die Grünen, verzichtet die Linke oft auf die Darstellung ihrer Spitzenkandidaten Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch.
Die AfD hat sich seit 2013 gesteigert. Eindrucksvoll wurden ihre Plakate dadurch aber nicht. Wo ihre politischen Lösungen fehlen, findet man sehr eindeutig ihren politischen Standpunkt: rechts-konservativ. Es beginnt immer mit einer Frage, bestehend aus einem Wort und einer simplen Antwort. Auf einem Plakat steht beispielsweise: „Burkas? Wir steh’n auf Bikinis“, wobei drei Frauen von hinten im Bikini zu sehen sind, oder: „Islam? Passt nicht zu unserer Küche“, mit einem abgebildeten Ferkel. Mit Geschmack hat das wenig zu tun, einen faden Beigeschmack würde es treffender beschreiben. Aber wie so oft wird aus dem Bauch heraus entschieden. Denn die Ängste ihrer Wählerschaft bringen sie erfolgreich auf die Plakate. Nur die ernsthaften Lösungen fehlen…
Die großen Parteien sind also alle aktiv. Nach der angesprochenen Studie von Frank Brettscheider, ist es für den Wähler besonders wichtig, was auf den Plakaten steht. Ein bestimmtes Thema oder besondere Eigenschaften der Kandidaten haben am meisten Auswirkung auf die Wahlentscheidung und könnten es Unentschlossenen einfacher machen, sich zu entscheiden. Traurigerweise ist auf den Plakaten folgendes zu sehen:
„Ungeduld ist auch eine Tugend.“
„Zukunft kann man wollen. Oder machen.“
„Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben.“
„Zum Land der Dichter und Denker passt eine Politik, die in Ideen investiert.“
Für Melanie Leidecker-Sandmann, eine Kommunikationswissenschaftlerin aus Karlsruhe, ist die Intention klar. Für sie ist durch die vagen Slogans eine Interpretationsmöglichkeit für den Bürger da: „Dadurch, dass die Umsetzung dieser Ziele nicht konkretisiert wird, bleibt es letztlich dem Wähler überlassen, das Ganze zu interpretieren“, erklärte sie den „Badischen Neuesten Nachrichten“ (6.9.2017). Außerdem wollen Parteien sich möglichst viele Optionen für eine spätere Koalition offen halten. Das mag alles richtig sein. Aussagen tun diese Sprüche trotzdem nichts. Die Slogans könnten von jeder Partei kommen, auch von einer ultrarechten. Es entsteht bei solchen Plakaten ein ungutes Gefühl, nichts mit Innovationen oder politischem Charakter. Allein der Normalbürger bekommt durch das veränderte Stadtbild mitbekommt, dass gerade so etwas wie ein Bundestagswahlkampf stattfindet. Letztendlich spiegelt der Wahlkampf auf den Straßen ein wenig das Verhalten vieler Politiker und der Politik selbst wieder: Er ist ungenau und einschläfernd.