Kapiert endlich: Es ist unsere Zukunft – nicht eure!
Kommentar, Appell, Vorwurf, Anklage, Abgesang auf die alten Entscheidungsträger

Mir dreht sich der Kopf, ich habe das komplette Alphabet vor mir, kenne aber die Reihenfolge der Buchstaben nicht. Es geht um den Klimaschutz. Jeder hat eine eigene Meinung und wie so oft, beharrt auch jeder auf dieser. Vor allem wenn es um Umsetzung und Konsequenz geht. Demonstrieren alleine reicht nicht.
Ich muss mein Verhalten verändern. Jeder! Beim Klimawandel zählt jeder Einzelne und jede einzelne Entscheidung. Wenn wir bei Fridays for Future demonstrieren, fordern wir die großen Veränderungen in Politik und Wirtschaft. Doch auch die kleinen Veränderungen zählen. Also, was tun? Nicht mehr in Urlaub fliegen? Keine billige Kleidung bei Primark oder H&M kaufen? Nur noch regionale Lebensmittel essen? Nicht mehr von Mami und Papi vor die Schultüre fahren lassen.
Wer für Gleichberechtigung oder Gerechtigkeit kämpft, kann sich in seiner Freizeit ausruhen. Ein Demonstrant gegen den Klimawandel nicht. Wir müssen zu jeder Zeit vernünftig sein und handeln. Doch wirklich umgesetzt wird die Veränderung des eigenen Lebensstils nicht. Zu einfach ist es, normal weiter zu leben. Das gilt für jedes Alter. Zu verlockend sind die billigen Angebote, wie beim Fliegen oder Fleisch essen. Gewohnheiten umkrempeln, verlangt Willenskraft. Dabei können wir uns nicht herausreden, dass bitte schön erst andere anfangen sollen, vor allem die großen Konzerne oder durch die großen Gesetze. Wir haben ALLE viel zu lange prokrastiniert.
Seit Jahrzehnten warnen Forscher eindringlich vor den Folgen des Klimawandels. Aber es gab immer wichtigere Themen für die politische, wirtschaftliche und mediale Aufmerksamkeit und für unsere eigenen Anstrengungen: Kalter Krieg. Wiedervereinigung in Deutschland. Rettungsschirme in der EU. Bankenkrise. Terror. Flüchtlingsströme. Alles wichtig – aber nicht nur. Für den Umweltschutz ist die Zeit abgelaufen. 5 vor 12 ist schon lange nicht mehr.
Zwischendurch gab es trügerische Hoffnung. Ozonloch geschlossen. Wälder haben sich erholt. Und 2015 bildete das Pariser Klimaabkommen einen neuen Startschuss. Doch die meisten Länder sind in den Startlöchern stecken geblieben. Deutschland wird seine Klimaziele bis 2020 krachend verfehlen und auch erst 2038 aus der Kohle aussteigen, nicht wie abgemacht 2030. Deutschland tut nichts.
Also tun die was, die es am meisten betreffen wird: die mit der Zukunft. Die Schülerinnen und Schüler. Sie demonstrieren jeden Freitag. Sie organisieren alles selbst. Manche arbeiten täglich mehrere Stunden, um alles zu managen. Sie verzichten auf ihre Frei- und Schulzeit, um ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen für ihre Zukunft, damit die Politik, die Wirtschaft und Wissenschaft endlich etwas tut. Und das weltweit. Greta sei dank. Und allen anderen, die mitmachen!
Und was macht Deutschland? Genau: wieder nichts. Manche Politiker loben die „Ermahnung“ der Demonstranten. So als würden sie das Thema immer wieder vergessen und müssten daran erinnert werden. Andere Politiker reden nur vom Schwänzen und verurteilen uns als Spaßrebellen. Sie lösen damit übergangslos den Vorwurf ab, wir seien unpolitisch und meinungsfrei. Klar doch, wir sollen doch bitte schön eine konforme Meinung haben, das Thema den Experten überlassen und in unserer Freizeit demonstrieren, wenn es keiner mitkriegt!
Es ist eine Farce, wie viele Politiker mit ihrer zukünftigen Wählerschaft umgehen. Es geht schließlich nicht um hitzefrei oder weniger ausgefallene Stunden, sondern um die Zukunft jedes einzelnen. Und das ist kein deutsches Problem, „Fridays for Future“ gibt es nicht ohne Grund weltweit.
Aber warum geht nicht jeder auf der Straße? Warum müssen das wir Schüler und Studenten machen? Klar, die Jüngeren bekommen die Auswirkungen des Klimawandels am stärksten ab. Aber den Klimawandel betrifft alle, direkt oder indirekt. Gab es nicht mal den Spruch früherer Generationen: „Wir wollen, dass es euch besser geht“?! Liebe Eltern und Großeltern, bleibt bei der Wahrheit: „Wir wollen, dass es euch besser geht. Aber nicht in unserer Umwelt!“
Das Pariser Klimaabkommen sieht die Ziele bis 2030 vor. Im Jahr 2030 ist Merkel 75, Juncker 75, Putin 76 und Trump 83. Die Lebenserwartung liegt in Europa und den USA bei etwa 79 Jahren, in Russland bei ca. 72 Jahren. Die Menschen, die heute das Sagen haben, gibt es statistisch gesehen bis dahin so gut wie nicht mehr. Umweltschutz betrifft also offensichtlich nicht alle. Deshalb müssen wir Direktbetroffenen weiter demonstrieren, um den betagten Entscheidungsträgern zu verdeutlichen, dass uns unsere Zukunft nicht egal ist. Und zwar provokativ, auch während der Schulzeit. Solange, bis endlich etwas passiert.
Wir Jungen entwickeln gleichzeitig unsere Ideen, wie es besser geht: schneller Kohleausstieg. ÖPNV ausbauen. Auf Schienen und nicht auf Autobahnen setzen. Flüge im Inland unattraktiv stärker besteuern. Finanztransaktionssteuer einführen, um das gewonnene Geld in Sozial- und Umweltprojekte zu stecken. Konsequenter gegenüber der Autowirtschaft und den Lobbyisten auftreten. SUVs stärker besteuern. Wie bitte, davon haben wir keine Ahnung, Herr Lindner? Ihr Politiker aber auch nicht – denn ihr tut nichts! Nein, stimmt nicht: Ihr lenkt vom Thema ab und beschimpft uns!
Aber kennt ihr das nicht selber aus eurer Jugend: Das reizt unseren Widerstand noch mehr! Unser Protest geht weiter. Wir werden besser im Organisieren. Wir werden deutlicher in unserer Ablehnung der etablierten Parteien und großen Wirtschaftsmarken. Wir werden auch deutlicher in unserer Verhaltensänderung. Auch das beginnt im Kleinen. Aber Ihr Erwachsenen macht nicht den Fehler, die Verfehlungen einzelner Jugendlicher uns allen vorzuhalten und uns damit insgesamt als unglaubwürdig darzustellen. Das ist billig!
Kapiert endlich: Umweltschutz ist die wichtigste Aufgabe der Menschheit! Und würde ganz nebenbei auch andere Probleme lösen. Wie zum Beispiel Flüchtlingsströme, weil keine Lebensgrundlagen mehr wegfallen. Es gibt einen Motivationssatz, der lautet: “Wenn es leicht wäre, würde es jeder machen”. Es ist nicht leicht. Aber es MUSS jeder machen. Und dazu zählst auch DU.
Unter Mitarbeit von Sandra Overlack