Hat der Kanzler das Thema Klimaschutz vergessen?
Statt Maßnahmen zur Verbesserung sehen wir Ablenkungen, hämische Witze und Antikampagnen
Klimaschutz – unzählige Texte, Meinungen und Halbwahrheiten werden zu diesem Thema täglich breitgetreten. „Nicht schon wieder der nächste Text über das Klima, langsam wird’s langweilig!“ Natürlich ist es ermüdend, wenn man seine Regierung täglich ermahnen muss, endlich zu handeln, damit unser Planet auch noch nach dem Renteneintritt der Spitzenpolitiker lebenswert ist.
Das fängt schon beim Koalitionsvertrag an. Dort war das Thema Klimaschutz zwar kurz angeschnitten, allerdings gefolgt von seitenlang aufgelisteten Umweltsünden: Gasbohrungen sollen ausgeweitet werden, der Kohleausstieg von 2030 auf 2038 verschoben werden, die Pendlerpauschale steigt, die Luftverkehrssteuer soll gesenkt werden … Und wo sparen wir ein? Natürlich beim Deutschlandticket, das ab 2026 noch teurer werden soll. Statt den ÖPNV zu stärken, und damit breite Teile der Gesellschaft zu unterstützen, entlasten wir lieber die Besserverdienenden.
Dies zeigt, dass Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit stark zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen. Klimagerechtigkeit ist mittlerweile vielen ein Begriff – bei unserer Regierung scheint das aber nicht angekommen zu sein. Auch das Klimageld lässt auf sich warten. Der Koalitionsvertrag wird von Klima-Expert:innen zurecht kritisch gesehen. Man wolle zwar bis 2045 in Deutschland klimaneutral sein, doch tatsächlich arbeiten wir nicht für, sondern gegen dieses Ziel.
Anstatt in E-Motoren zu investieren, wolle man „technologieoffen“ sein. Dabei werden zukunftsgerichtete, nachhaltige Technologien kategorisch ausgeschlossen. Windräder seien „hässlich“ und E-Autos unverkäuflich. Natürlich ist es kaum verwunderlich, dass die Nachfrage nach E-Autos gering ist, wenn wir uns der Technik und Infrastruktur versperren und Hasskampagnen auch noch belächeln. So technologieoffen sind wir dann wohl doch wieder nicht – es muss schon der richtigen Lobby gefallen!
Während diese gefährliche Klientelpolitik weitergeht, vollziehen sich weiterhin kritische Veränderung der Erdsysteme, wie beispielsweise der Anstieg des Meeresspiegels oder die Kohlenstofffreisetzung durch tauende Permafrostböden. Außerdem erfahren wir regelmäßig Extremwetterereignisse und die Zahl der Hitzetoten im Sommer steigt mit jedem Jahr. Die Erkenntnis, dass souveränes Handeln angebracht wäre, scheint auf Regierungsebene nicht anzukommen.
Natürlich, wir kennen schon die Gegenrede! Ganz egal, ob bei Familientreffen, dem Dorffest oder sogar in vermeintlich seriösen Talkshows; die typische Stammtisch-Leier ist oft dieselbe: Wir sind nur das unschuldige, kleine Deutschland, das keinen großen Einfluss auf die globalen Emissionen hat. … Das Problem muss global angegangen werden… Tja, genau, es muss angegangen werden. Jetzt! Und zwar auf allen Ebenen der Politik. Da darf sich auch die vermeintlich kleine Bundesrepublik im mächtigen Zusammenschlusses von Industriestaaten der nicht zurückhalten. Selbst im Europa-Vergleich sind hier viele Länder fortschrittlicher in Sachen Klimaschutz als wir.
Dem naiven Argument „Wir müssen uns erstmal um unsere stagnierende Wirtschaft kümmern, bevor wir uns solch post-materialistischen Anliegen wie Klimaschutz widmen können“ gehen wir nicht auf den Leim. Wer glaubt, wirtschaftlicher Fortschritt und Klimaschutz schließen sich aus, irrt gewaltig! Unsere These – und da sind wir nicht alleine: Klimaschutzmaßnahmen retten die Wirtschaft! Und nein, das haben wir uns nicht einfach so aus dem Ärmel geschüttelt oder aus den Fingern gesogen. Wenn endlich die Transformation zu einer umweltschonenden, nachhaltigen Wirtschaft umgesetzt wird und auch Investitionen in die Forschung zu klimaschonenden Technologien laufen, wird dieses Land wieder innovativer, produktiver, gewinnbringender. Das ist die Chance, wieder Vorreiter und Weltmarktführer zu werden. Nischen haben wir oft genug ignoriert und ausbluten lassen: Man vergisst gerne mal, dass wir einst Vorreiter bei Photovoltaik waren. Die chinesische Wirtschaft dankt Peter Altmaier wohl täglich für seine Kürzungen der deutschen Solarförderung und dem fehlenden Schutz vor massiv subventionierten Billigmodulen, vor allem aus China. Da können wir nur noch mit sanfter Ironie reagieren!
Allein die deutsche Photovoltaikindustrie – auch wenn jetzt nicht mehr wohlauf – zeigt, dass Deutschland Potenzial für Innovationen besitzt, aber auch entfalten muss. Vielleicht muss Kanzler Merz seine Brille putzen, dann würden die wirtschaftlichen Unternehmungen seiner Regierung weniger kurzsichtig ausfallen. Eine Regierung, die kurzfristige, schnelle Gewinne priorisiert und sich von fossilen Lobbyist:innen die Klimakrise schönreden lässt, sorgt nicht für Standortsicherung. Eher im Gegenteil: Was wir brauchen, ist die Priorisierung des Stakeholder-Values, also des nachhaltigen Wirtschaftens mit Blick auf langfristige Gewinne. Anstatt mit Tunnelblick Aktionär:innen zufriedenstellen zu wollen, damit diese weiterhin in eine veraltete Wirtschaftsstrategie investieren. Beachten wir dies nicht, sinkt die Attraktivität unseres Wirtschaftsstandortes sowie unsere Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt. Dass dadurch unsere Wirtschaft stagniert und kein Wachstum produziert wird, scheint der CDU wohl egal zu sein. Auf andere kann man es danach immer noch schieben, hat ja schon bei der Ampel funktioniert.
Während wir herumeiern, wie wichtig die Ästhetik eines Windrads für die Landschaft ist, sind uns andere Wirtschaftsmächte in der Windradtechnologie drei Schritte voraus. Jede weitere Diskussion über Windkraft im Wald setzt den fossilen Kreuzzug gegen die Erneuerbaren fort. Aber die Vögel! – wir können es nicht mehr hören. Nicht das Windrad ist der böse Vogelschredderer, sondern das sind Pestizide. Auch der Verkehr belastet die Vogelpopulation durchaus stärker.
Die sukzessive Denunzierung der Erneuerbaren hilft wieder nur einem Akteur – der fossilen Lobby. Diese nutzt auch gerne Medienkonzerne, um Stimmung gegen fossilfeindliche Gesetze zu machen, wie im Fall des Finanzinvestors KKR mit dem Axel Springer Verlag. Die Machtallokation großer Konzerne sorgt zumindest für eine Intransparenz bei der Lobbyarbeit. Das bedeutet: Lobbyismus muss im medialen sowie politischen Kontext stärker beobachtet und notfalls eingeschränkt werden. Wir müssen das böse Kind beim Namen nennen: Alte, weiße Männer an der Spitze dieser Konzerne sorgen mit angepasster Berichterstattung dafür, dass ihr Aktiendepot weiterhin ein Plus aufweist, während Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen, weil der nächste Hurrikan sie umbringen würde.
Also, wie so oft; Alt regiert – Jung verliert! Wir sehen dahinter eine Taktik: Eine Regierung, die andere Probleme ausgiebig und medienwirksam ausschlachtet, um sie groß und wichtig zu machen – um somit das Thema Klimaschutz nicht auf dem Schirm zu haben. Der Dunstkreis um den Kanzler ist ziemlich ruhig. Dabei geht es um das größte, existenzielle Problem des Jahrtausends. Seit dem Regierungsantritt im Mai dieses Jahres haben wir mehr Rückschritt in Sachen Klimaschutz beobachtet als Fortschritt. Die fossile Lobby wird weiter gefördert, während erneuerbare Energien diskreditiert werden. Unser Fazit: Die Regierung rettet die Wirtschaft von gestern – und opfert dafür die Welt von morgen.
Redaktionelle Mitarbeit: Hannah Eckstein
Das Foto zeigt einen Ausschnitt bei einer Klima-Demo in Baden-Baden im Dezember 2024 – Wir von RAVOLUTION waren dabei. Als Mahnende und Sprechende.





