Gott können wir töten – den Glauben nicht
Nietzsches Anstoß auf der Suche nach dem Sinn

„Gott ist tot! Und wir haben ihn getötet!“, dieses Zitat stammt aus Friedrich Nietzsches „Die fröhliche Wissenschaft“ von 1882. Obwohl nun über ein Jahrhundert vergangen ist, die Epoche der Aufklärung, in der Nietzsche lebte, längst vorbei ist, weckte diese Aussage einen Anreiz in mir, genauer darüber nachzudenken. Ich fühle mich keiner Religion zugehörig und würde mich dennoch als keinen Atheisten beschreiben, da Glauben eine große Rolle in meinem Leben spielt. Ich würde wohl behaupten, ich bin nicht die Einzige, die so zu denken vermag. Nietzsche setzt genau an diesem Punkt an und beschreibt den Weg von einem Christlichen Gott zu neuen Erkenntnissen. Wie kann die Menschheit einen Gott ermorden? Braucht der Mensch überhaupt einen Gott im Leben? Die Suche nach Antworten führte mich zu Nietzsches Werk.
Das Fragment 125 aus dem Buch „Die fröhliche Wissenschaft“ erzählt eine Geschichte über einen Menschen, der auf der Suche nach Gott ist. Vorerst wird er von den umherstehenden Atheisten ausgelacht und als verrückt bezeichnet. Sie verstummen jedoch, als dieser anfängt zu rufen: „Wohin ist Gott? Ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet“. Er ist völlig entgeistert und stellt unzählige, vorwurfsvolle Fragen, wie zum Beispiel: „Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen?“. Die anderen Menschen verstanden ihn jedoch nicht, sodass er mit den Worten, er sei zu früh gekommen, und dass „dies ungeheure Ereignis (…) noch unterwegs“ sei, hinwegging. Wie kommt dieser Mann auf die Idee, die Menschen hätten Gott getötet?
Zur Zeit der Aufklärung gab es eine Strömung von Atheisten, die aufhörten an Gott zu glauben und die das Christentum verabscheuten. Die umherstehenden Menschen der Geschichte sollen genau diese darstellen. Sie haben Gott getötet, indem sie aufhörten, an ihn zu glauben. Die Voraussetzung hierfür ist auf erschreckende Weise, dass Gott etwas vom Menschen Geschaffenen sein muss. Menschen können nach Nietzsche nämlich „nur als Schaffende (…) vernichten“, das bedeutet sie müssen Gott selbst geschaffen haben, um ihn töten zu können. Diese These ist immer noch aktuell.
Viele glauben, dass sich die Menschen Gott ausgedacht haben. Falls dies so sei, und immer mehr Menschen, bis auf den Allerletzten, aufhörten an Gott zu glauben, was wäre dann? Zuerst einmal würden wir nach Nietzsche im Nihilismus leben, das bedeutet im großen Nichts, in der Belanglosigkeit, in der es keine Normen und Werte gibt. Es würde Chaos herrschen. So kam Nietzsche auf den Schluss, dass Menschen immer etwas über ihnen brauchen, an das sie glauben können und das ihnen eine Ethik lehrt. Für ihn würde ein sogenannter „Übermensch“ entstehen, der mit besonderen Fähigkeiten geboren wird und daher über die anderen herrscht.
Die Grundzüge Nietzsches Gedanken sind eindeutig auf die heutige Zeit übertragbar. Auch wenn ich der Meinung bin, dass es nie einen Übermenschen geben wird, so braucht doch tatsächlich jeder etwas, an das er glaubt und das ihm Richtlinien vorgibt. Für die einen mag es nach wie vor Gott sein, für andere die Politik und für wiederum andere der Sport. Dies sind nur Beispiele und im Grunde kommt es auch nicht darauf an, an was wir glauben, sondern, dass wir es überhaupt tun. Glauben kann Berge versetzen, Mut und Sicherheit geben und uns ermöglichen unser Handeln kontrollieren zu können. Meiner Auffassung nach glaubt am Ende jeder an sich selbst. An die Kraft, die in einem ist und einen tagtäglich weiter kämpfen und leben lässt. Wie auch immer man diese Kraft bezeichnet, sie ist vorhanden.
In wie weit sich das Christentum in Zukunft entwickeln wird, ist schwer abzusehen. Menschen und Kulturen sind in dauerhafter Dynamik, verändern sich und prägen sich gegenseitig. Was uns Nietzsche aber lehrt, ist, dass Menschen Wesen sind, die glauben. Egal an was oder wen, sie tun es, möglichweise auch unbewusst. Und genau das macht uns zu einer strebenden und fortschreitenden Person. Die Idee, es ist demnach sicherlich möglich, Gott zu töten, den Glauben jedoch nicht. Der Glaube ist fortwährend und unabdingbar, er gehört zu uns, in dem sind wir alle gleich.
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