Alt regiert – Jung verliert?! Hilfe, wir müssen reden!
RAVOLUTION stellt Fragen und zeigt die Sicht der jungen Generation
Wer entscheidet über die Zukunft? Ganz klar: Ältere, die viele der Folgen ihrer Beschlüsse nicht mehr erleben werden. Unsere neue Ausgabe von RAVOLUTION wird dagegen von Menschen zwischen 18 und 25 Jahren erstellt (und von der Chefredakteurin Ü60). Wir schauen aus der Sicht Jüngerer auf Zukunftsthemen wie Etatkürzungen im Jugendbereich, auf Klimawandel und Wehrpflicht. Wir stellen viele Fragen und wünschen uns Antworten. Am besten im Dialog.
Was tut sich bundesweit, regional und kommunal? Aber auch: Gibt es weltweit Ideen für mehr Generationengerechtigkeit?
„Dir soll es mal besser gehen.“ Das war der Leitsatz einer Generation, die Krieg, Mangel und Entbehrung erlebt hatte. Die Eltern der Boomer, die Groß- oder gar Urgroßeltern der heutigen Generationen Z (zwischen 1997 und 2012 geboren) und Alpha (ab 2013). „Besser“ hieß in den 60er und 70er Jahren: sicherer, wohlhabender, friedlicher.
Für was steht das „besser“ heute?
Wir leben in Zeiten, in denen Rente kein sicheres Versprechen mehr ist. In denen das Klima kippt, weil wir zu spät handeln. In denen aufgerüstet wird, weil Kriege toben. In denen Milliarden an Schulden aufgenommen und astronomische Zinsen gezahlt werden. In denen Schulen marode sind, Lehrpläne veraltet und Kommunen Etats für Jugendtreffs und Kultur kürzen. Kurz gesagt: In Zeiten, die bei vielen Zukunftsängste auslösen. Vor allem bei Jüngeren.
Die Boomer-Generation (geboren 1955 bis 1965) hinterlässt eine Welt, die heißer, teurer, unsicherer und unberechenbarer geworden ist. Vielleicht sollte „besser“ heute bedeuten: Mehr Verantwortung mit Weitblick – und die Ehrlichkeit, Fehler nicht zu vererben, sondern sie endlich zu korrigieren.
Wer zieht ehrliche Bilanz und gibt Fehler zu? Sind gute Reformen in Sicht?
Viele Zahlen sind alarmierend. Auf 100 Erwerbstätige kommen schon heute 39 Menschen im Rentenalter. 2050 können es laut dem Institut der Wirtschaft sogar 77 sein. Wir leben in einer Gesellschaft, die schrumpft und altert. Der Generationenvertrag funktioniert aber nur als gesellschaftlicher Solidarakt, wenn das Finanzmodell aufgeht.
Wer schlägt Alarm? Wer wird gehört? Wer hat Konzepte und Reformen für die Zukunft? Wer wählt Jüngere in Parlamente, auch auf kommunaler Ebene?
Bei den Wahlen treten für verschiedene Parteien durchaus VertreterInnen von U25 an, weil sie mitreden und mitbestimmen wollen. Gewählt werden aber oft Ältere zum wiederholten Mal. Ausnahme: Luca Mürb wurde jüngst mit 17 Jahren Stadtrat von Baden-Baden für die Grünen. Als Nachrücker. Auf Bundesebene bestimmen vor allem Ältere, welche Themen Priorität haben: Rente, Pflege, Sicherheit. Während Themen wie Bildung, Digitalisierung und Klima nachrangig behandelt werden.
Ist das nicht eher der Versuch der Besitzstandswahrung als der Zukunftsplanung? Wer ist die Lobby für junge Menschen und deren Themen? Müssten das nicht die Eltern und Großeltern sein und diese im Sinne ihrer Nachfahren entscheiden?
Von wegen „Dir soll es mal besser gehen!“ Wir haben noch nicht mal definiert, was „besser gehen“ bedeutet. Auch nicht gefragt, was junge Menschen darunter verstehen und sich wünschen. Sie, die heute noch in Kitas und zur Schule gehen, werden die harten Folgen der aktuellen Politik und unseres Lebensstiles tragen müssen. Wir Alten sitzen nicht nur an den Hebeln, sondern AUF den Hebeln in Parlamenten, Vorständen, Verbänden. Wir bestimmen, wie lange Kohle noch verbrannt wird, wie viel Schulden wir machen, wie stark wir das System belasten. Das ist Macht – aber es ist auch Verantwortung.
Werden wir der Verantwortung für nachfolgende Generationen – wortwörtlich – gerecht?
Ich habe viel mit jungen Menschen zu tun – das verändert meinen Blick auf fast alles. Sie stellen uns Älteren wichtige und unbequeme Fragen:
Warum handelt ihr nicht konsequenter beim Klimaschutz?
Warum investiert ihr nicht in Bildung statt in Bürokratie?
Warum verwaltet ihr Gegenwart, statt Zukunft zu gestalten?
Warum tut ihr nicht alles für den Frieden?
Warum hinterlasst ihr eine Welt, die nur noch repariert werden kann?
Warum lebt ihr auf Kosten von uns Jüngeren?
Warum sprecht ihr nicht mit uns?
Wer mit jungen Menschen arbeitet, merkt, wie überholt unser Denken ist. Weil wir Älteren auf unsere Erfahrung pochen statt mehr auf Erneuerung zu setzen. Weil wir die Teilnehmenden von Fridays for future als Schulschwänzer abtun. Weil wir über Jüngere schimpfen, die viel Arbeit nicht als das tollste Wohl erachten. Weil wir wenig Verständnis haben, wenn sie nach dem Abitur die Welt kennenlernen wollen und nicht den 8-Stunden-Tag plus Überstunden. Weil Politiker Witze über Veganer machen und nicht gendern wollen.
„Früher war alles besser.“ Das mag zu allen Zeiten so gewesen sein: Ältere beschweren sich über Jüngere. Möglicherweise stimmt der Seufzer, dass früher alles besser war, sogar jetzt im Rückblick – weil viele Errungenschaften nicht mehr haltbar sind. Wir Boomer sollten verdammt froh sein, dass wir so tolle Zeiten hatten. Klar, wir haben die Basis für den Wohlstand der Jüngeren geschafft und ihnen viel Freiraum ermöglicht. Doch dieses Poster schmilzt dahin. Wir sollten zumindest darüber nachdenken:
Wann war unser persönlicher Kipppunkt, dass wir für unsere Nachfahren so viele Probleme geschaffen haben? Und warum?
Ich – Journalistin, Jahrgang 1964 – habe die Online-Jugendzeitung RAVOLUTION Ende 2016 gegründet. Weil ich Schülerinnen und Schüler Journalismus und seriöse Quellen nahe bringen möchte. Daraus ist ein jahrelanger Austausch geworden. Die ersten RAVOLUTIONÄRE studieren oder haben bereits tolle Jobs und sind weltweit unterwegs. Klar, die Teilnehmenden meines Projektes könnten meine Enkel sein. Vielleicht lernen sie von mir. Ich aber ganz sicher immer von ihnen. Wir Boomer können uns zwar auf viel Wissen und Erfahrung berufen, aber längst nicht mehr in allen Bereichen, die heute elementar sind: digitale Technologien, Cybersecurity, Mobilitätskonzepte, New Work, Remote Work, Diversität, Partizipationstools, informelles Lernen, Mental health undsoweiter.
Überall – in Politik und Gesetzgebung, in Unternehmen und Organisationen, in Städten und Kommunen, in Bildung und Arbeitswelt brauchen wir „Future Proofing“ mit den Fragen:
Funktioniert das, was wir heute festlegen, in 5, 10 oder 30 Jahren? Und unter welchen Bedingungen?
Machen wir Älteren uns ehrlich. Die Welt dreht sich auch ohne uns weiter – vielleicht sogar wieder besser. Mein Lebensmotto lautet deshalb: Sei ein guter Vorfahre! Bedenke jede Entscheidung, ob sie auch im Sinne nachkommender Generationen ist. Ich möchte Vorbild sein, auch gern gefragte Gesprächspartnerin. Und keine meckernde Alte, die in der Nostalgie hängen bleibt, sondern die ein Teil von Morgen ist. Mitbestimmend, nicht blockierend.
Nachtrag: Selbstverständlich gibt es nicht DIE jeweilige Generation. Wir müssen uns hüten vor Verallgemeinerungen. Aber es gibt Tendenzen, Trends und Mehrheiten, für was eine jeweilige Generation steht. Zum Beispiel GenAlpha sind komplett „Digital Natives“.
Das Foto entstand im Sommer 2025 bei einem Medienseminar von RAVOLUTION in Rastatt.





